Buddenbrooks
Kapellen und nackten Trauerweiden, dem Buddenbrookschen Erbbegräbnis sich näherte, stand schon die Ehren-Kompagnie bereit und präsentierte aufs Neue. Hinter einem Gebüsch erklang in gedämpften und schweren Rhythmen ein Trauermarsch.
Und wieder war die große Grabesplatte mit dem plastisch gearbeiteten Familienwappen beiseite geschafft worden, und wieder umstanden am Saume des kahlen Gehölzes die Herren der Stadt den ausgemauerten Schlund, in den nun Thomas Buddenbrook zu seinen Eltern hinabgelassen ward. Sie standen {764} da, die Herren von Verdienst und Vermögen, mit gesenkten oder wehmütig zur Seite geneigten Köpfen, und unter ihnen waren die Ratsherren an ihren weißen Handschuhen und Kravatten erkenntlich. Weithin aber drängten sich die Beamten, die Kornträger, die Comptoiristen, die Speicherarbeiter.
Die Musik verstummte, Pastor Pringsheim sprach. Und als seine Segenssprüche in der kühlen Luft verhallten, schickte sich Alles an, dem Bruder und dem Sohne des Verblichenen noch einmal die Hand zu drücken.
Es gab ein langwieriges Défilé. Christian Buddenbrook nahm alle Beileidsbezeugungen mit dem halb zerstreuten, halb verlegenen Gesichtsausdruck entgegen, der ihm bei Feierlichkeiten eigen war. Der kleine Johann stand in seiner dikken Seemannsjacke mit goldenen Knöpfen neben ihm, hielt seine bläulich umschatteten Augen zu Boden gesenkt, ohne irgend jemanden anzublicken, und neigte den Kopf mit einer empfindlichen Grimasse schräg rückwärts gegen den Wind.
{765} Elfter Teil.
(Meinem Freunde Otto Grautoff.)
1.
Man erinnert sich dieser oder jener Person, man denkt nach, wie es ihr gehen mag, und plötzlich fällt einem ein, daß sie nicht mehr auf den Trottoirs umher spaziert, daß ihre Stimme nicht mehr in dem allgemeinen Stimmenkonzert mitklingt, sondern daß sie einfach auf immer vom Schauplatz verschwunden ist und irgendwo draußen vorm Thore unter der Erde liegt.
Die Konsulin Buddenbrook, geborene Stüwing, die Witwe Onkel Gottholds war tot. Auch ihr, die ehemals die Ursache so heftigen Zwists in der Familie gewesen war, hatte der Tod seine sühnende und verklärende Krone aufgesetzt, und ihre drei Töchter, Friederike, Henriette und Pfiffi fühlten nun das Recht, den Kondolationen ihrer Verwandten eine beleidigte Miene entgegenzusetzen, als wollten sie sagen: »Da seht, eure Verfolgungen haben sie in die Grube gebracht!« … Obgleich die Konsulin steinalt geworden war …
Auch Madame Kethelsen hatte den Frieden. Nachdem sie sich während der letzten Jahre mit der Gicht hatte plagen müssen, war sie sanft, einfältig und kindergläubig dahingegangen, beneidet von ihrer gelehrten Schwester, die immer noch hie und da gegen kleine rationalistische Anfechtungen zu kämpfen hatte und, obgleich sie beständig buckliger und winziger wurde, durch eine zähere Konstitution an diese schlechte Erde gebannt war.
Konsul Peter Döhlmann war abgerufen worden. Er hatte sein ganzes Vermögen verfrühstückt, war schließlich dem Hunyadi-Janos erlegen und hinterließ seiner Tochter eine Rente von zweihundert Mark jährlich, indem er es der öffentlichen Pietät {766} gegen den Namen Döhlmann anheimgab, sie durch Aufnahme in das Johannis-Kloster zu versorgen.
Justus Kröger war ebenfalls abgeschieden, und das war schlimm; denn nun hinderte niemand mehr seine schwache Gattin, das letzte Silberzeug zu verkaufen, um dem entarteten Jakob Geld schicken zu können, der irgendwo draußen in der Welt sein Lotterleben führte …
Was Christian Buddenbrook betrifft, so hätte man ihn vergebens in der Stadt gesucht; er weilte nicht mehr in ihren Mauern. Ein knappes Jahr nach dem Tode seines Bruders, des Senators, war er nach Hamburg übergesiedelt, woselbst er sich mit einer Dame, der er längst schon nahe gestanden, mit Fräulein Aline Puvogel vor Gott und den Menschen vermählt hatte. Niemand hatte ihm wehren können. Sein mütterliches Erbe zwar, dessen Zinsen übrigens schon immer zur Hälfte nach Hamburg gewandert waren, wurde, soweit es noch nicht im Voraus verbraucht war, von Herrn Stephan Kistenmaker verwaltet, der dazu durch seines toten Freundes Testament bestellt worden war; aber Christian war im Übrigen Herr seines Willens … Sobald seine Verehelichung ruchbar wurde, richtete Frau Permaneder an Frau Aline Buddenbrook zu Hamburg einen langen und außerordentlich feindseligen Brief, der mit der Anrede »Madame!« begann und in sorgfältig vergifteten Worten die Erklärung enthielt, daß Frau
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