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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Zweifel und Hoffnungen hinauszugelangen. Da sie keinen Silbergroschen besaß, so wußte sie, daß niemand in der weiten Welt sich finden würde, sie zu heiraten, und mit Demut sah sie ihrer Zukunft entgegen, die darin bestand, in irgend einer kleinen Stube eine kleine Rente zu verzehren, die ihr mächtiger Onkel ihr aus der Kasse irgend einer wohlthätigen Anstalt für arme Mädchen aus angesehener Familie verschaffen würde.
    Die Konsulin ihrerseits war mit der Lektüre zweier Briefe beschäftigt. Tony erzählte von dem glücklichen Gedeihen der kleinen Erika, und Christian berichtete eifrig von dem Londoner Leben und Treiben, ohne freilich seiner Thätigkeit bei Mr. Richardson eingehend zu erwähnen … Die Konsulin, die sich der Mitte der Vierziger näherte, beklagte sich bitterlich über das Schicksal der blonden Frauen, so rasch zu altern. Der zarte Teint, der einem rötlichen Haar entspricht, wird in diesen Jahren trotz aller Erfrischungsmittel matt, und das Haar selbst würde unerbittlich zu ergrauen beginnen, wenn man nicht Gott sei Dank das Rezept einer Pariser Tinktur besäße, die das fürs Erste verhütete. Die Konsulin war entschlossen, niemals weiß zu werden. Wenn das Färbemittel sich nicht mehr als tauglich erwiese, so würde sie eine Perücke von der Farbe ihres jugendlichen Haares tragen … Auf der Höhe ihrer noch immer {195} kunstvollen Coiffüre war eine kleine von weißen Spitzen umgebene seidene Schleife angebracht: der Beginn, die erste Andeutung einer Haube. Ihr seidener Kleiderrock umgab sie weit und bauschig; ihre glockenförmigen Ärmel waren mit steifem Mull unterlegt. Wie stets klirrten ein paar goldene Reifen leise an ihrem Handgelenk. – Es war drei Uhr nachmittags.
    Plötzlich wurde Rufen und Schreien, eine Art von übermütigem Johlen, Pfeifen und das Gestampf vieler Schritte auf der Straße vernehmbar, ein Lärm, der sich näherte und anwuchs …
    »Mama, was ist das?« sagte Clara die durchs Fenster und in den »Spion« blickte. »All die Leute … Was haben sie? Worüber freuen sie sich so?«
    »Mein Gott!« rief die Konsulin, indem sie die Briefe von sich warf, angstvoll aufsprang und zum Fenster eilte. »Sollte es … O mein Gott, ja, die Revolution … Es ist das Volk …«
    Die Sache war die, daß während des ganzen Tages bereits Unruhen in der Stadt geherrscht hatten. In der Breiten Straße war am Morgen die Schaufensterscheibe des Tuchhändlers Benthien vermittelst Steinwurfes zertrümmert worden, wobei Gott allein wußte, was das Fenster des Herrn Benthien mit der hohen Politik zu schaffen hatte.
    »Anton?!« rief die Konsulin mit bebender Stimme in den Eßsaal hinüber, wo der Bediente mit dem Silberzeug hantierte … »Anton, geh' hinunter! Schließe die Hausthür! Mach' Alles zu! Es ist das Volk …«
    »Ja, Frau Konsulin!« sagte Anton. »Kann ich das auch wagen? Ich bin ein Herrschaftsknecht … Wenn sie meine Livree zu sehen kriegen …«
    »Die bösen Menschen«, sagte Klothhilde traurig und gedehnt, ohne ihrer Handarbeit Einhalt zu thun. – In diesem Augenblick kam der Konsul durch die Säulenhalle und trat durch die Glasthür ein. Er trug seinen Paletot über dem Arm und den Hut in der Hand.
    {196} »Du willst ausgehen, Jean?« fragte die Konsulin entsetzt …
    »Ja, Liebe, ich muß in die Bürgerschaft …«
    »Aber das Volk, Jean, die Revolution …«
    »Ach, lieber Gott, das ist nicht so ernst, Bethsy … Wir stehen in Gottes Hand. Sie sind schon am Hause vorüber. Ich gehe durch das Hinterhaus …«
    »Jean, wenn du mich lieb hast … Du willst dich dieser Gefahr aussetzen, willst uns hier allein lassen … Oh, ich ängstige mich, ich ängstige mich!«
    »Liebste, ich bitte dich, du echauffierst dich auf eine Weise … die Leute werden vorm Rathaus oder auf dem Markt ein bißchen spektakeln … Vielleicht wird es dem Staat noch ein paar Fensterscheiben kosten, das ist Alles.«
    »
Wohin
willst du, Jean?«
    »In die Bürgerschaft … Ich komme schon fast zu spät, die Geschäfte haben mich aufgehalten. Es wäre eine Schande, da heute zu fehlen. Meinst du, daß dein Vater sich abhalten läßt? So alt er ist …«
    »Ja, dann geh' mit Gott, Jean … Aber sei vorsichtig, ich bitte dich, nimm dich in Acht! Und habe ein Auge auf meinen Vater! Wenn ihm etwas zustieße …«
    »Unbesorgt, meine Liebe …«
    »Wann kommst du zurück?« rief die Konsulin ihm nach …
    »Je nun, um halb fünf um fünf Uhr … je nach dem. Es steht

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