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Buddha-Boy

Buddha-Boy

Titel: Buddha-Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordan Sonnenblick
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Vernehmungsbeamter der Polizei im Fernsehen. Und nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, spielte sie nicht den guten Cop.
    Noch bevor die Tür hinter mir ins Schloss klickte, ging es los. »Wo warst du, San? Wo WARST du? Ich habe deine Schule angerufen, aber alle waren schon weg. Ich hätte die Polizei angerufen, wenn du jetzt nicht aufgetaucht wärst. Und du hast schon wieder den Anruf deines Vaters verpasst! Ist dir eigentlich klar, dass er zusätzlich arbeiten muss? Dass er Sand schaufeln und am Straßenrand Abfall auflesen muss, um sich das Recht für einen Anruf zu verdienen? Ist dir das völlig egal?«
    Sie legte eine Pause ein, um einen Schluck Wein zu trinken, und im trüben Halbdunkel sah es aus, als würde eine Träne über ihre rechte Wange laufen. Sie sah mich an und wartete auf die Antwort, die alles erklärte.
    Â»Mom, tut mir leid, dass du auf mich warten musstest. Ich war mit einem Mädchen aus der Sozialkundeklasse in der Suppenküche. Wegen unseres Projekts, weißt du? Die Zen-Sache? Jedenfalls mussten wir nonstop Geschirr spülen. Deshalb konnte ich nicht anrufen. Hatte ich dir nichts davon gesagt? Ich dachte, ich hätte –«
    KLATSCH! Das war die Hand meiner Mutter in meinem Gesicht. Sie hatte mich bisher noch nie geschlagen.
    Ich konnte nicht glauben, was da eben passiert war. Also stand ich nur da und sah zu, wie der Wein aus ihrem umgekippten Glas im Zeitlupentempo auf den Teppich tropfte.
    Â»Toll«, sagte sie. »Jetzt ist der Teppich auch noch hin.«
    Dann fing sie an zu schluchzen.
    Ich wusste nicht, was ich in dieser Situation tun sollte. Wenn einen jemand ohrfeigt und dann weint – ist man dann verpflichtet, ihn in den Arm zu nehmen? Fragt man, was los ist, wenn man gleichzeitig seinen Brustkorb verteidigt? Geht man weg? Entfernt man den sich ausbreitenden Weinfleck?
    Steht man da wie ein Idiot?
    Ich entschied mich für Letzteres. Ich stand einfach nur da und spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen und Hitze ins Gesicht – dahin, wo ein knallroter Handabdruck sein musste.
    Meine Mutter brauchte ungefähr eine Minute, um sich zu fangen. Schließlich ging sie zum Küchenschrank, schnappte sich ein Papiertaschentuch und putzte sich die Nase. Dann sagte sie: »Ich lass es nicht zu, dass du mich belügst, San! Ich bin in meinem Leben schon oft genug belogen worden. Es reicht! Du weißt, dass du mir NICHT gesagt hast, dass du nicht da bist, wenn dein Vater anruft. Ich schäme mich für dich. Und du hast Hausarrest.«
    Ich wollte fragen, wie lang, beschloss dann aber, mich lieber zu entfernen, solange meine Zähne noch in Ordnung waren. Stattdessen sagte ich: »Ich rede nicht mit ihm.« Dann räusperte ich mich, um einen plötzlichen Kloß im Hals loszuwerden und die Feuchtigkeit aus den Augen zu zwinkern, bevor ich mit wackliger Stimme hinzufügte: »Mir egal, ob ich Hausarrest kriege, bis ich hundert bin. Ich rede nicht mit ihm.«
    Sie sah nicht mehr böse aus, nicht einmal besonders traurig. Nur erschöpft und irgendwie alt. Besiegt. »Oh, San«, flüsterte sie. »Es tut mir so leid.«
    Meine Backe tat weh. Ich wollte es nicht hören. Ich sagte: »Egal. Gute Nacht.« Dann schlich ich in mein Zimmer und schloss die Tür.
    Als ich im zersplitterten Spiegel hinter der Tür mein Gesicht betrachtete – das genauso aussah, wie es sich anfühlte –, wurde mir klar, dass ich mich gerade dazu verdammt hatte, bis zur Schlafenszeit im Zimmer zu bleiben. Was Stunden dauern würde.
    Ich sah mich um und fühlte mich wie ein Zen-Mönch. Ich war in dieser schlachtschiffgrauen kleinen Kammer gefangen. Keine Bilder an den Wänden, keine Möbel außer dem Bett und einer schäbigen alten Kommode, die links kippelte, und ohne irgendwelche elektronischen Geräte. Mein Vater hatte wahrscheinlich einen besseren Zugriff auf Fernsehen und Musik als ich. Ich hatte nur den Bücherstapel neben meinem Bett. Und viel Zeit.
    Man sagt doch, am nächsten Morgen sieht alles besser aus. Das ist völliger Blödsinn. Ich erwachte in einer Sonnenschein- sowie Sabberpfütze auf dem ausgeliehenen Buch unter meinem Kopf. Für einen kurzen Augenblick dachte ich: Hey, was für ein schöner Tag! Dann fiel mir ein, dass ich ein Leben totaler Irreführung und totaler Armut unter total Fremden verbrachte. Mit einer Mutter, die anscheinend die

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