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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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kommen.
    Ich griff Grigori von Ernen unter die Arme, zerrte ihn auf den Flur, öffnete mit dem Fuß die Tür zu einem der anderen Zimmer und wollte ihn dort hineinschleifen, doch im Türrahmen hielt ich inne. Trotz Plünderung und Verwüstung konnte man die Zeichen des alten, sonnigen Vorkriegslebens hier noch deutlicher erkennen. Es war das einstige Kinderzimmer: Längs der Wand standen zwei bambusvergitterte Bettchen, mit Kohle war ein Pferd an die Tapete gezeichnet, dazu ein bärtiges Gesicht (ich mußte komischerweise sofort an die Dekabristen denken). Auf dem Fußboden lag ein roter Gummiball. Kaum daß ich ihn erblickt hatte, schloß ich die Tür und zog den Leichnam weiter. Das benachbarte Zimmer frappierte durch seine pietätische Schlichtheit – in der Mitte stand ein schwarzer Flügel mit offenem Deckel, daneben ein Drehhocker, das war alles.
    In diesem Augenblick nahm ein neuartiges Gefühl von mir Besitz. Ich ließ Grigori von Ernen halb sitzend in der Ecke lehnen (die ganze Zeit, während ich ihn umherbugsierte, hatte ich peinlich darauf geachtet, daß sein Gesicht nicht unter dem grauen Mantel hervorsah) und setzte mich an den Flügel. Merkwürdig, dachte ich, Genosse Ernenzoff ist anwesend und doch nicht mehr da. Wer mochte wissen, welche Verwandlungen seine Seele gerade erfuhr? Ein Gedicht von ihm fiel mir ein, das vor drei Jahren im »Neuen Satyricon« abgedruckt worden war: Dem Anschein nach gab es nur den Leitartikel zur Auflösung der letzten Duma wieder, doch als Akrostichon stand zu lesen: Mene tekel ufarsin . Und da lag er nun. Gewogen und zu leicht befunden. Wie seltsam.
    Ich drehte mich zum Flügel und begann leise Mozart zu spielen, meine geliebte Fuge in f-Moll, bei der ich immer bedauerte, daß ich nicht über die vier Hände verfügte, von denen der berühmte Exzentriker geträumt haben mußte. Die Melancholie, die mich beschlich, hatte mit dem Exzeß um Grigori von Ernen nichts zu tun; vor meinem inneren Auge erschienen die beiden Bambusbettchen von nebenan, und einen Moment lang versetzte ich mich in die fremde Kindheit, blickte mit den reinen Augen eines kleinen Menschen in den Abendhimmel, eine unaussprechlich rührende Welt, die ins Nichts entschwebt war. Ich spielte allerdings nicht lange – das Instrument war verstimmt, außerdem mußte ich mich sputen. Die Frage war nur: wohin?
    Es war höchste Zeit, mir darüber klarzuwerden, wie ich den Abend zu verbringen gedachte. Ich ging zurück in den Flur und betrachtete zweifelnd Grigoris Lederjacke. Mir blieb nichts anderes übrig. Einige meiner literarischen Versuche mochten gewagt sein – so dekadent, einen bereits zum Leichentuch gewordenen Mantel anzuziehen, den noch dazu ein paar kreisrunde Löchlein am Rücken zierten, war ich nun wieder nicht. Ich nahm die Jacke vom Haken, griff mir das Köfferchen und trat in das Zimmer, wo der Spiegel war.
    Die Lederjacke erwies sich als passend – der Tote und ich waren etwa von gleicher Statur. Als ich den Gurt mit dem baumelnden Pistolenhalfter umgeschnallt hatte und mich im Spiegel betrachtete, sah ich einen stinknormalen Bolschewiken vor mir stehen. Hätte ich nun noch die an der Wand liegenden Bündel untersucht, wäre ich vermutlich im Handumdrehen ein reicher Mann gewesen. Der Ekel war stärker. Sorgfältig lud ich die Pistole nach und überprüfte, ob sie leicht genug aus dem Halfter glitt. Es war in Ordnung. Gerade wollte ich das Zimmer verlassen, da erklangen Stimmen im Flur. Mir fiel ein, daß die Wohnungstür die ganze Zeit offengestanden hatte.
    Ich stürzte zum Balkon. Er ging auf den Twerskoi-Boulevard hinaus. Unter mir schätzungsweise zwanzig Meter kalte, dunkle Leere, in der die Schneeflocken tanzten. Im Lichtfleck der Laterne sah ich Grigoris Auto stehen; auf dem Fahrersitz hockte, unklar, woher so plötzlich, ein Mann mit Bolschewikenkappe. Offenbar hatte Grigori vorhin per Telefon seine Kollegen von der Tscheka herbestellt. Auf den nächstunteren Balkon zu klettern war unmöglich, ich stürzte zurück ins Zimmer. Es wurde schon an die Tür getrommelt. Na schön. Einmal mußte die ganze Geschichte ein Ende haben. Ich richtete die Mauser auf die Tür und brüllte: »Herein!«
    Die Tür ging auf, zwei Matrosen in Seemannsjacken und Hosen mit unzüchtig weitem Schlag, die Gürtel behängt mit Handgranaten stürmten ins Zimmer: der eine, schnurrbärtig, schon in den Jahren, der andere jung, doch mit welkem, blutleerem Gesicht. Die Pistole in meiner Hand schien sie nicht im

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