Buerger, ohne Arbeit
Unendliche gestreckt: Schulden bezahlen Schulden, und keiner merkt es. Dieser scheinbar »schmerzfreie«
Angriff der Gegenwart auf die Zukunft gerät ins Stocken, wenn die heimliche Ausflucht, dereinst für alles aufkommen zu können,
auch ihren letzten Kredit verliert, wenn selbst jene Einnahmen ausbleiben, die die einfache Reproduktion des Gemeinwesens
sichern.
5. Die Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft und die Globalisierung des Kapitalverhältnisses untergruben die Praxis des
deficit-spending
ultimativ. Die großen Firmen entzogen sich ihrer einheimischen Steuerpflicht in bedrohlichem Maße, der Kreis der einfachen
Steuerzahler verengte sich zusehends. In dieser kritischen Lage entschlossen sich die politischen Eliten zur bedingungslosen
Kapitulation vor dem Markt. Um die Unternehmen im Land zu halten, gingen sie auf beinahe jede ihrer Forderungen ein, oft genug
mit dem unterwürfigen Gestus vorauseilenden Gehorsams. Steuern konnten über das gewöhnliche Maß hinaus abgeschrieben, Gewinne
so lange mit früheren oder aktuellen Verlusten verrechnet werden, bis der staatliche Fiskus leer ausging, Betriebsteile wurden
wie selbständige Unternehmen behandelt, die den steuerpflichtigen Gesamtertrag regelmäßig auf Null stellten, Ausschüttungen
von Rücklagen erfreuten sich einer staatlichen Steuerprämie. Wer hatte, dem wurde reichlich gegeben, und so konnte es nicht
ausbleiben, daß sich die |258| Finanzkrise von Staat, Ländern und Kommunen dramatisch zuspitzte.
Die einzig verbleibende Antwort bestand in der Wiederherstellung der Arbeitsgesellschaft mit allen Mitteln, auch den gröbsten
und untauglichsten. Nachdem man die Regierung kopflos und überstürzt in die Hände der Eigentümer zurückgelegt und sich für
eine rigide Variante der Einnahmenökonomie entschieden hatte, für das Sparen aus Prinzip, »bat« man die Normalbürger zur Kasse.
DEREN Steuern und Abgaben mußten die Haushalte sanieren, und das ging nur, wenn man sie unter Arbeitsverhältnisse knechtete,
die noch vor kurzem als unzumutbar galten. Es war (und ist) diese Feigheit vor dem Diktat der ökonomisch Mächtigen, die der
Sozialdemokratie den Kopf vernebelte, die Hände band und die trostlose Rolle eines Nachbeters neoliberaler Dogmen bescherte.
Erst nachdem sie sich rettungslos in der Falle verfangen hatte, dämmerte ihr die ganze Tragödie ihres Abfalls vom Keynesianismus
selbst in seiner simplifizierten Schulbuchfassung. Das zur Ideologie gewordene Sparen, die Doktrin vom ausgeglichenen Haushalt
funktionierten in einer Phase wirtschaftlicher Stagnation als negative Rückkopplungsschleifen der matten Binnenkonjunktur,
bewirkten weiteren Abschwung und steigende Arbeitslosigkeit. Unterdessen viel zu schüchtern, um das selbstverordnete Korsett
zu sprengen, schwankt das »Reform«konzept der neuen Sozialdemokratie prinzipien- und bewußtlos zwischen angebots- und nachfragepolitischen
Programmen hin und her. Weitere Ausgabenkürzungen, ja, aber lieber morgen als heute; eine »großzügigere« Interpretation der
Stabilitätskriterien des Euro, in engen Grenzen, unbedingt; neue, vor allem indirekte Steuern, unerwünscht, aber nicht ausgeschlossen;
härtere Sanktionen gegen arbeitslose Subventionsbetrüger, auf jeden Fall!
6. Die erpresserische
Exit
-Option der Unternehmen, die Verknappung »guter« Arbeit dramatisierten die Probleme, die die Wiederkehr der Ausgabenökonomie
schon seit längerem |259| aufgeworfen hatte. Sie beschränkten sich nicht auf die Konkurrenz der politischen Parteien um die Gunst des Souveräns, auf
Wohltaten außer der Reihe, soziale Versprechungen und Wahlgeschenke. Der Hang zur Verschwendung, zum Verbrauch ohne Besinnung
wurzelt im Zentrum des modernen Wohlfahrtsstaates. Gemeinschaftliche Fonds zur Existenzsicherung, für Bildung und Gesundheit
motivieren ein anderes Verhalten als individuelle. Man beansprucht sie, ohne im Regelfall zu prüfen, ob die Inanspruchnahme
nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten, zwingend ist; die Gesetzeskonformität des Anspruchs gilt als hinreichender
Grund seines Inkrafttretens. Die persönliche Nachfrage nach öffentlichen Gütern und Ressourcen ökonomisch so zu konditionieren,
daß ALLE Anspruchsberechtigten zum Zuge kommen, jetzt und fürderhin, ist eine sinnvolle Aufgabe. Arztbesuche aus Gewohnheit,
als Geselligkeitsersatz, unbegründeter Medikamentenkonsum, die Okkupation von Studienplätzen bis ins reife Alter
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