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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Besuch der Volksversammlungen selbst, für die Anwesenheit bei den großen Theaterfesten, den
Dionysien
; Vorschüsse auf das Bürgergeld. Die Angehörigen der dritten Solonschen Vermögensklasse, die
Zeugiten
, erhielten Zugang zu den höchsten Staatsämtern. So sehen Reformen aus!
    8. Anlaß zum Fest, im textlichen Gewand von Aischylos’
Oresteia
. Der dritte Teil dieser bis auf das Satyrspiel einzig vollständig überlieferten altgriechischen Tragödie, die 458 zur Aufführung
     gelangte, zeigt Orestes, von den Rachegöttinnen, den
Erinyen
, verfolgt. Auf Geheiß des Gottes Apoll hat er den heimtückischen Mord an seinem Vater Agamemnon, dem Heerführer der Griechen
     im Feldzug gegen Troja, blutig |262| gerächt. Klytaimnestra, dessen Gattin, seine Mutter, die ihren Mann aus Wut und unstillbarer Kränkung tötete, starb durch
     Orestes’ Hand. Nun ist der Muttermörder auf der Flucht. Rituell gereinigt, begibt er sich nach Attika, unter den Schutz der
     Göttin Athene, die weiterer Blutrache Einhalt gebietet und ein Geschworenengericht aus Ehrenmännern einberuft. Die
Erinyen
führen Klage, Apoll übernimmt die Verteidigung seines Schützlings. Die Abstimmung geht unentschieden aus. Da legt Athene ihren
     Stein zugunsten von Orestes auf die Waage und erklärt dieses Verfahren, die Mehrheitsregel, zum künftig allein verbindlichen.
    Die
Erinyen
werden zu Schutzgöttinnen des Gemeinwesens umfunktioniert, zu
Eumeniden
, Wohlwollenden, geläutert. Ganz wie die Aristokraten verlieren sie ihre Herrschaft über das Gewohnheitsrecht, über Tod und
     Leben, und erhalten zum Ausgleich Sitz und Wohnstadt auf dem Hügel westlich der Akropolis. Dort wachen sie, von allen Bürgern
     geehrt und reichlich mit Opfern bedacht, über Sitte und Anstand des endlich befriedeten Gemeinwesens. Geburt der Zivilreligion
     aus dem Geist der Versöhnung, nach glücklich beigelegtem Bürgerkrieg; einer Zivilreligion, die, darin erschreckend modern,
     Pazifizierung nach innen und missionarische Eroberungslust nach außen unter ein- und demselben symbolischen Dach vereint:
     
    Nach außen nur sei Krieg, wie er so leicht entbrennt:
    In ihm mag Ruhmsucht sich mit vollen Kräften tummeln!
280
     
    Aber das ist hier ebensowenig zu verhandeln wie die Abdankung von weiblichem Recht und weiblicher Stimme, die Sprach- und
     Rechtlosigkeit der Sklaven, der prekäre Status von Zugewanderten und Fremdarbeitern, die Lückenhaftigkeit des Gruppenbildes.
     Erwähnung verdient, daß dieser ursprüngliche Reformprozeß auf der organisierten Plünderung fremden Reichtums fußte. Athen
     unterwarf seine Bündnispartner und Vasallen unerbittlicher Tributpflicht, annektierte |263| die Bundeskasse des von ihm geführten attischen Seebundes, verfügte über die Gelder nach Gutdünken und überzog jedes Mitglied,
     das Zahlungen verweigerte oder auch nur murrte, mit militärischen »Expeditionen«; der große Thukydides hat einige dieser staatlichen
     Greueltaten in seiner »Geschichte des Peleponnesischen Krieges« mit bewunderungswürdiger Objektivität geschildert. – Hier
     war es abschließend nur um eines zu tun, um den Ursprung und die unverlierbaren Merkmale des (europäischen) Reformverständnisses:
     mehr Rechte, mehr Freiheiten, mehr Mitsprache und Mitgestaltung (trotz aller Ausschlußregeln) für eine stets wachsende Zahl
     von Menschen und Menschengruppen; kein ideologischer Nebel, kein Sophismus kann das jemals ganz verdunkeln. Die bequemste
     Lektion der attischen Reformperiode bestünde freilich darin, daß der Bruch mit dem sozialen Privileg, der Kampf für Gleichheit
     und Gerechtigkeit, die einsame Domäne selbst Privilegierter, vornehm Geborener, ist – Trost, willkommene Botschaft für die
     machthabende bürgerliche Feigheit.
    § 34 Zweierlei Reform
    1. SANIERENDE Reformen erzeugen keine überschwenglichen Gefühle. Sie stehen im Zeichen früherer Versäumnisse und widerspiegeln
     darüber hinaus das ungastliche Element einer Weltgeschichte, die zum Abschied von Verhaltensweisen zwingt, die vor wenigen
     Jahrzehnten ebenso zukunftsblind, aber leichter zu tolerieren waren. Konsequent ins Werk gesetzt (§ 33.6), sind sie immerhin
     mit der ausgleichenden Gerechtigkeit im Bunde, halten sie alle sozialen Gruppen zum Umdenken und Umlernen an. EMANZIPATORISCHE
     Reformen sind sie nicht und wollen sie auch gar nicht sein.
    Sind solche heute überhaupt noch möglich? Die knappe Skizze einer wirtschaftlich leistungsfähigen, dabei sozial und

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