Buerger, ohne Arbeit
repräsentieren
Formen legalen Mißbrauchs, die einzuschränken im Interesse der Gemeinschaft liegt. Wer wollte gegen die Sanierung dieser Systeme
ernstlich polemisieren?
Die Polemik entflammt, und zwar zu Recht, sofern es sich nur um halbierte Restriktionen handelt, um solche, die die Angebotsseite
blindlings oder absichtsvoll verschonen. Auch hier bedarf es der Ökonomisierung. So müssen, um nur ein Beispiel zu geben,
die Produzenten und Anbieter medizinischer Leistungen, Pharmaindustrie, Ärzte, Apotheker, vergleichen und kalkulieren lernen
wie die Patienten. Kostentransparenz, Herstellung und Verordnung preisgünstiger Medikamente, Verzicht auf unnötige und überteuerte
Präparate und Therapien, Zurückhaltung bei der Werbung, Abkehr vom Ideal des verschreibungssüchtigen Kunden – all das kommt
nicht von selbst. Die Sanierung der Systeme gewinnt erst dann den Charakter einer Reform, wenn sie eine BEIDSEITIGE Verhaltensänderung
bezweckt. Rückkehr zu den Grundsätzen der Einnahmenökonomie nur für die |260| Konsumenten bei fortbestehender Ausgabenökonomie für die Produzenten ist das Erkennungszeichen halbseitig gelähmter, sozial
MISSRATENER Reformen.
7. Zum Kontrast und zur Abrundung der bisherigen Betrachtungen: die älteste Schicht des okzidentalen Reformismus: Solon, Kleisthenes,
Ephialtes. Der Ausgangspunkt des sich über fast einhundertfünfzig Jahre erstreckenden Reformprozesses war ernst genug. Das
attische Gemeinwesen stand vor seiner inneren Zerrüttung. Immer mehr arme Freie verschuldeten sich bei den Grundbesitzern.
Das Recht war auf der Seite der Gläubiger und erlaubte ihnen explizit, säumige Schuldner zu versklaven und zu verkaufen. Solon
setzte dieser Praxis ein Ende. In seiner Eigenschaft als Archon verfügte er im Jahr 594 v. u. Z. die berühmte
seisachteia
, die »Abschüttelung der Lasten«. Die in Sklaverei Geratenen erhielten ihre Freiheit zurück. Ob dies durch eine Ermäßigung
der Hypothekenschulden oder durch völlige Entschuldung der einfachen Bürger ohne jegliche Entschädigung der Aristokratie erreicht
wurde, ist in diesem Zusammenhang zweitrangig.
Die
seisachteia
bildete den Grundpfeiler des historischen Kompromisses von Adel und Volk. Sie griff in dessen gewohnheitsmäßige wie verbriefte
Rechte ein, um die Herrschaft der Vornehmen aufrechtzuerhalten. Im wohlverstandenen Eigeninteresse des Adelstandes beschnitt
Solon auch dessen politische Prärogative. Mitwirkungsbefugnisse am Gemeinwesen staffelten sich fortan nicht mehr nach Zufälligkeiten
der Herkunft, sondern nach dem Vermögen; Ausgleich zwischen Geburts- und Geldadel; Öffnung einstweilen noch enger Aufstiegskanäle
für alle freien Bürger. Die Regierung im eigentlichen Sinn (Gesetzgebung, Rechtsprechung, Entscheidung über Krieg und Frieden)
verblieb in den Händen der großen Grundeigentümer, konzentrierte sich im Areopag, einer neunköpfigen Exekutive aus dem Kreis
der angesehensten Bürger, die für je ein Jahr gewählt wurden.
|261| Kleisthenes, aus vornehmstem Hause wie sein Vorgänger auch, beließ es nicht dabei. Als Führer der demokratischen »Partei«
erzwang er, auf die freie Bauernschaft gestützt, im Jahr 508 v. u. Z. eine Verfassungsreform, die den Einfluß des alten und
neuen Adels auf die
ekklesia
, die Volksversammlung, sowie auf die Magistrate drastisch reduzierte. Das Staatsgebiet wurde in sich selbstverwaltende Gemeinden
unterteilt, auf eine Weise, die der überwiegend demokratisch eingestellten Stadt- und Küstenbevölkerung die Mehrheit gegenüber
den zumeist konservativen Landbewohnern sicherte. Der Areopag bestand fort, bildete als »Wächter der Gesetze« formell aber
nur mehr einen Seitenzweig des Staatsgebäudes. In der Praxis regierte er nach wie vor in die Innen- und Außenpolitik des attischen
Gemeinwesens hinein.
Ephialtes’ Reformen der Jahre 462/61 beendeten diese Doppelherrschaft. Sämtliche Herrschaftsbereiche, Exekutive, Legislative
und Judikative, fielen in die Zuständigkeit der Volksversammlung, lediglich die Blutsgerichtsbarkeit unterstand hinfort dem
Areopag; eine Abfindung der Tradition in Ehren. Die weitere Ausgestaltung der attischen Demokratie im »Perikleischen Zeitalter«
zeigte dieselbe Begeisterung für denkwürdige Taten. Es gab Tagegelder für Volksrichter (nun konnten auch arme Bürger in die
Rechtsprechung eingreifen), für die Mitglieder der Gremien und Ausschüsse der
ekklesia
, für den
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