Buerger, ohne Arbeit
Darstellung des französischen und preußischen Reformzyklus an (§
25). Ihr gemeinsamer strategischer Nenner bestand in der Überwindung einer staatlichen Haushaltsführung, die die Ausgaben
des Hofes sowie der Aristokratie im ganzen als unabhängige Variable ansah, der sich die Einnahmen jeweils anzupassen hatten.
Drei Gründe führten zum permanenten Ungleichgewicht, zur dauerhaften Überforderung der Steuerzahler: die Freistellung des
Adels sowie des Klerus von Steuern und Abgaben, der ausschweifende Lebensstil der Oberschichten, schließlich die vielen Kriege,
vornehmlich der weltlichen Herren, zur »Abrundung« bzw. Erweiterung ihrer Territorien. – Über die Maßen exzentrisch, anspruchsvoll
und daher immer unterversorgt, notleidend im Luxus, standen der höfischen Ausgabenökonomie nur zwei Wege offen, die Lücke
zu schließen: die Auspressung der Untertanen sowie die Verschuldung bei den großen europäischen Bankhäusern, den glücklichen
Finanziers der unersättlichen Begierde nach Land und ausgesuchten Genüssen. Die forderten ihr Geld zurück, mit Zinseszins,
und so reduzierten sich die beiden Methoden letztlich auf eine, liefen sie in der Gestalt des Steuerpächters zusammen, der
die geforderten Summen, zuzüglich eigener »Aufwandsentschädigung« eintrieb, gegebenenfalls mit militärischem Nachdruck.
Turgot, Necker, Stein und Hardenberg, in einer für die Krone kritischen, im Fall der beiden Deutschen verzweifelten Situation
mit Reformen beauftragt, besaßen bürgerlichen Instinkt genug, die Gunst der Stunde zu nutzen, um die chronisch defizitären
Ausgabenökonomien, gleichsam im Vorgriff auf ein noch zu schaffendes Parlament, schrittweise in Einnahmeökonomien zu transformieren.
Sie scheiterten |256| am Widerstand der »guten Gesellschaft« sowie an der politischen, in Preußen darüber hinaus auch sozialen Schwäche von Bürgertum
und Volk. Gleichwohl bedeuteten diese Reformen einen mutigen Versuch, auf dem europäischen Kontinent ein Staatsverständnis
und staatliche Haushaltsprinzipien einzuführen, die in England und den Vereinigten Staaten längst Gesetzeskraft genossen.
4. Die Zentralinstitution jeder wirklichen Einnahmenökonomie ist das Parlament. Der Parlamentarismus legt die Regierung insofern
in die Hände der Eigentümer, als er deren politische Repräsentanten, die Abgeordneten, zu dem ausdrücklichen Zweck bestellt,
die Ausgaben der Exekutive strikt an den bewilligten Einnahmen auszurichten. Haushaltsdebatten sind die Sternstunden des Parlaments,
von Anfang an, kritisch dem Staatsverzehr gegenüber, unversöhnlich gegen jede Verschwendung, jede unnötige Ausgabe fremden,
das heißt eigenen, nämlich »bürgerlichen« Geldes. In dieser Praxis, die nunmehr die Einnahmen zur unabhängigen Variablen erklärt,
ruht der Ursprung des »schlanken Staates«. »Ruhte«, muß man mit Blick auf die weitere Entwicklung des Parlamentarismus hinzufügen.
In der modernen Massendemokratie schleift sich mit dem vormaligen sozialen Gegensatz von Exekutive und Legislative (dort verbürgerlichter
Adel und bürgerliche Oberschicht, hier die Repräsentanten der bürgerlichen Mitte) auch der funktionale ab. Die jeweilige Parlamentsmehrheit
wird Anhängsel der Regierung, verlegt ihre kritische Aufmerksamkeit von den Regierungsbänken auf die Opposition. Vorbei nicht
nur die schönen Stunden der freien politischen Aussprache unter Ebenbürtigen, sondern auch die alte Geschäftsverteilung, bei
der die Parlamentarier den Rechenkünsten der Regierung regelmäßig die Leviten lasen; Übergang zu einer parlamentarischen Demokratie
ohne effektive parlamentarische Kontrolle. 279
Von der Zustimmung der Massen abhängig, behaupten Regierungen desto sicherer die Macht, je glaubwürdiger sie |257| das Wahlvolk mit Versprechungen umwerben; sie darin zu übertreffen, erhöht die Aussichten der Opposition. In diesem Wettlauf
um die Gunst der Regierten lebt die alte Ausgabenökonomie wieder auf, in modifizierter Form. Die Verpachtung des staatlichen
Steuermonopols scheidet unter demokratischen Verhältnissen ebenso aus wie die brutale Aussaugung der Bevölkerung. Steuern
und Abgaben können nur auf gesetzlichem Weg erhöht werden, wobei das Urteil über deren Legitimität am Ende wieder beim Wähler
liegt; Versprechungen sehen anders aus. So wird die Staatsverschuldung zur hauptsächlichen Finanzierungsquelle der Wunscherfüllung,
der Schuldendienst selbst ins
Weitere Kostenlose Bücher