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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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agieren inzwischen selbst global, im Bankwesen, in der Telekommunikation,
     im Software-Bereich. Der riesige Binnenmarkt griff die Impulse auf, die Lebensbedingungen für Millionen von Menschen verbesserten
     sich spürbar. Zu Beginn der 1990er Jahre von der Postindustrialisierung noch kaum berührt, befand sich der Subkontinent nach
     kaum einem Jahrzehnt inmitten dieses Prozesses. 294
    Verglichen mit der Primärindustrialisierung rückständiger Staaten und Regionen während der ersten und zweiten technologischen
     Revolution verlaufen heutige Anschluß- und Aufholprozesse zeitlich extrem gerafft. Auch vergleichbar nachwirkend? Diese Frage
     kann zumeist erst dann beantwortet werden, wenn die Karawane weiterzieht. Im Falle Indiens löste die anhaltende Nachfrage
     nach qualifiziertem Personal einen steilen Anstieg der Löhne und in der Folge eine erneute Abwanderungsbewegung aus, diesmal
     in Richtung China und Osteuropa. 295 Nun muß sich zeigen, ob der äußere Anstoß für eine langfristige innere Belebung stark genug war. Je kürzer die Zeit der »Befruchtung«,
     je selektiver die »Fruchtwahl«, desto größer das Risiko des Steckenbleibens, Versandens der Impulse.
    5. Das ist die Logik der Postindustrialisierung: Sie ebnet bestehende Gefälle nur um den Preis ein, daß sie neue sichtbar
     macht, mit unerhörtem Tempo und gänzlicher Rücksichtslosigkeit für das momentan Geschaffene. Das eigene Aufbauwerk zu konsolidieren,
     für stetigen Fortschritt und verläßliche Austauschbeziehungen zwischen Metropolen und jeweiliger Peripherie zu sorgen erscheint
     als überflüssiger Halt auf freier Strecke, als ärgerlicher Zeitverlust, solange es noch unerschlossene Räume gibt.
    Die ökonomische Globalisierung ist keine Schaukel, die |276| Hoch und Niedrig austariert; sie ist eine Bewegung auf holpriger Bahn, angezogen und geleitet von einem großen Ideal: Herstellung
     von Gütern und Dienstleistungen ohne nennenswerte Personalkosten, Gratisproduktion. Seßhaftigkeit, Innehalten, Rücksicht und
     Rücksichtnahme gelten als Todsünden in einer Welt, die vom modernen Nomadentum beherrscht wird. Hier eine kurze Rast und dort,
     für ein paar Jahre, dann geht es weiter.
    Löst die Initialzündung keine selbsttragende Entwicklung aus, veröden die kaum belebten Räume im Handumdrehen, gleichen sie
     binnen kurzem aufgegebenen Walfangsiedlungen aus dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Der Fortschritt ist ein eiliger Gast;
     statt die Erde umzuwühlen, haucht er sie nur leise an; das muß genügen. Und wenn es nicht genügt, bleibt nur das Warten auf
     den nächsten Raser. »Es gibt nur eines, das schlimmer ist, als von Multis überrollt zu werden: nicht von Multis überrollt
     zu werden.« 296
    Gut gesagt, doch ist das nur die halbe Wahrheit. Ganze Nationen laufen Gefahr, von Global Players in eine Entwicklungsrichtung
     gedrängt, hineingerissen zu werden, die zu deren Verwertungsprofilen, aber nicht zu den einheimischen Voraussetzungen paßt.
     Mal setzen die großen Konzerne auf transnationale »Gemischtwarenläden«, dann wieder auf extreme Spezialisierung. In Abhängigkeit
     vom allgemeinen Trend und der jeweiligen Unternehmensphilosophie gleichen die Schneisen, die durch die Wirtsländer gezogen
     werden, mal engeren, mal breiteren Korridoren, mal verlängerten Werkbänken, mal ausbaufähigen ökonomischen Adern. Von Multis
     – endlich – überrollt zu werden, heißt daher oft genug, in eine Spezialisierung aufzubrechen, die sich beim jederzeit möglichen
     Wechsel der Prioritäten umgehend als Fehlspezialisierung erweist, als Entwicklungsmuster ohne Wert und Zukunft.
    Ökonomische »Energie« erhält sich, wenn überhaupt, im steten Wandel ihrer Formen, ihrer Arbeitsteilungs- und Verflechtungsmuster.
     Nicht jede dieser Formen und Varianten |277| läßt sich ohne Schäden, ohne schwerwiegende Spätfolgen in national und regional gewachsene Wirtschaftsweisen einbetten. Soziale
     und kulturelle Teilhabe, globaler Kapitalbewegung anvertraut, gleicht einem Spiel mit blinden Würfeln. Die Theorie der »ausgeglichenen
     Gesamtrechnung« vertröstet die Lebenden auf das Finale vieler Märchen: »und wenn sie nicht gestorben sind…« Nur:
In the long run we are all dead.
    6. Die »ausgeglichene Gesamtrechung« läßt zu, daß einige verlieren: Wohlstand, Arbeitsplätze, soziale Sicherheit, Lebens-
     und Teilhabechancen, kurz- und mittelfristig, auf dem Weg der Erzeugung einer ökonomisch homogenen Welt.

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