Buerger, ohne Arbeit
»Einige«, das meint
die Mehrheiten in den reichen Nationen. Die müssen sich fügsam zeigen, die Heimatliebe alteingesessener Unternehmen durch
freiwilligen Verzicht auf Einkommen und Status neu erwecken. »Was von der Kippe abrutscht, hängt maßgeblich von der Lohnhöhe
ab.« 297 (Glückwunsch, nebenbei, zu der Metapher: Menschen, die sich verzweifelt an ein Brett klammern, das soeben zum Galgen aufgerichtet
wird!) Patriotische Verlierer geben »ihren« Arbeitgebern zeitig und von sich aus, was ohnehin nicht festzuhalten ist und anderenfalls
in »fremde« Taschen fließt. Die Arbeiter und Angestellten Westeuropas an Durchschnittslöhne zu gewöhnen, die den an den Auslagerungsorten
gezahlten auch nur nahekommen, heißt, ihnen ihr Leben zu bestreiten, auch ihre Arbeitsfähigkeit; ein unerfüllbares Verlangen,
absurd selbst aus der Sicht der Unternehmen. Worauf will die Drohung dann hinaus? – Auf Extragewinne, im Vorübergehen eingestrichen,
ohne jede Garantie für die langfristige Sicherung der Arbeitsplätze. 298 Was die soziale Teilhabe von unten her zersetzt, ist die Umfunktionierung der Globalisierung zur Dauerdrohkulisse: »Wir können
auch anders, anderswo! Und wenn wir bleiben, dann zu den von uns diktierten Konditionen!«
Wunschträume der Unternehmer: Pfingsten der Arbeit: »Müssten alle angestellten Beschäftigten beispielsweise am Pfingstmontag
ohne zusätzliches Entgelt arbeiten, würde |278| das Bruttoinlandsprodukt um rund 3, 5 Milliarden Euro steigen. Das wäre ein möglicher Schritt zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.
Allenfalls würde der Tourismus etwas darunter leiden, weil die Leute dann weniger freie Tage zur Verfügung hätten. Dafür würde
aber an anderer Stelle mehr konsumiert. Es fände also lediglich eine Verschiebung der Nachfrage statt.« 299 Nicht so bescheiden! »Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) geht davon aus, dass ein zusätzlicher
unbezahlter Arbeitstag das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um sechs Milliarden Euro und im kommenden Jahr um knapp sieben
Milliarden Euro wachsen ließe. Begründung: Durch Mehrarbeit sinken die Produktionskosten, was wiederum zu billigeren Produkten
und damit zu mehr Nachfrage führen würde.« 300
Wenn die sinkenden Lohnkosten zu entsprechend sinkenden Preisen führen, mehr Umsatz also bei gleicher Gewinnspanne, wozu dann
die Anstrengung? Sie lohnt nur, wenn diese NICHT im selben Maß wie jene sinken: der Heilige Geist, der den Aposteln Mammon
predigt, moderne Pfingsten eben. – Weiter in diesem Text: »Um den Fehlbestand an Ausbildungsplätzen zu verringern, empfiehlt
die FDP geringere Vergütungen für Lehrlinge. ›Ich fordere mehr Spielräume bei den Ausbildungsvergütungen, so wie es das Berufsbildungsgesetz
eigentlich auch vorsieht‹, sagte Generalsekretärin Cornelia Pieper in Berlin.« 301 Das Ziel dieser Vorschläge: Inseln der Fron inmitten des Lohnarbeitsverhältnisses, ihr Resultat: Verelendung auf Raten (§
40.10). 302
7. Der neue Gerechtigkeitsdiskurs verklärt die Spontaneität des ökonomischen Prozesses zum gesellschaftlich Wünschenswerten,
mindestens zum Unausweichlichen; politischem Handeln, das sich dagegen auflehnt, wird Dispens erteilt. Intellektuelle Kontroversen,
öffentlicher Streit und Widerspruch, das war einmal, nunmehr herrscht Einvernehmen. »Geschehen soll, geschehen muß, was ohnehin
geschieht!« verkünden die Katecheten der ehernen Notwendigkeit |279| und meinen vor allem den Abschied von der Gleichheit. Wie kehrt man zur Normalität der Ungleichheit zurück, ohne daß wieder
Menschen verhungern? fragt der Konservative. 303 Wer sich heute zur sozialen Gerechtigkeit bekennt, muß sich zur Ungleichheit bekennen, echot der Liberale. 304 Das soziale Gewissen muß sich an Ungleichheit gewöhnen, ohne zynisch zu werden, erklärt der gelehrige Grüne 305 , und der »beschleunigte« Sozialdemokrat sieht zur Entstehung einer neuen Unterklasse keine realisierbare Alternative. 306 Geistig dürftiger, zäher auch gab sich die »Konsensgesellschaft« nie.
§ 37 Von der Gleichheit zum Respekt
1. Die kleinste Einheit der Gesellschaft bilden Menschen, nicht: der Mensch. Stets mit ihresgleichen in der Welt, geborene
Komparatisten, messen die einzelnen ihr Geschick am Geschick der anderen. Das Individuum im Zustand des Vergleichs sucht Selbstbestätigung;
es möchte anderen ebenbürtig sein und findet Ruhe erst, wenn dieses Ziel
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