Buerger, ohne Arbeit
als in den
sozialen, mit frühzeitiger, sich stets erneuernder Selektion von Sieger- und Verlierertypen. Das Publikum auf der Tribüne
begrüßt stets nur die Überlebenden früherer Konkurrenzen. Im professionellen Sport mag das gewollt sein. Wer diese Art von
Fairneß der Gesellschaft überstülpt, spielt mit den Regeln ganz bewußt ein falsches Spiel. Er zerstört die Grundlagen jeder
auf die Gesellschaft bezogenen Gerechtigkeitsidee – das LANGFRISTIGE Zusammenleben und Zusammenwirken der Individuen. |271| Welche sozialen »Spiele« sie im einzelnen auch immer spielen mögen, sie sind und bleiben Akteure eines übergeordneten, großen
Zusammenspiels, der Generationen umgreifenden Kooperation. (§ 21) Eine Autorität, die Regeln gehorcht, die in der Zeitfolge
Ungleichheiten stapeln, das Ausscheiden einzelner und ganzer Gruppen tolerieren, ja bezwecken, wird diesem Bedürfnis nicht
gerecht; der Schiedsrichter bildet kein Analogon zur staatlichen Rechtsordnung. Der Mensch als Bürger benötigt eine Autorität,
die die Grundstruktur der Gesellschaft gegen alle Auflösungstendenzen festhält. Alle müssen im »Spiel« bleiben, als prinzipiell
Gleiche imstande sein, jeden allgemein akzeptierten Spielzug jederzeit auszuführen. Das verlangt Korrekturen jener Rang- und
Machtordnungen, die aus dem Regelwerk der vielen kleinen »Spiele« hervorgehen; Anpassung der nur sportiven Gerechtigkeit an
die »Hintergrundgerechtigkeit«, ohne die kein langfristiger Kooperationszusammenhang gelingen kann; 289 Platzverweis für die modernen Ablaßhändler der Gerechtigkeit, Einrichtung von Chancen ohne Zählwerk.
§ 36 Teilhabe
1. Die Chancen, die der Sozialstaat der Zukunft zu vergeben hat, sollen solche der Teilhabe sein. Propagiert wird die Umstellung
der sozialpolitischen Philosophie von materieller auf kulturelle Gleichheit, von (annähernd) gleichen Lebensverhältnissen
auf gleiche Entfaltungsmöglichkeiten, die Abkehr vom alimentierenden und die Hinwendung zum aktivierenden Staat. »Als gerecht
soll künftig gelten, was Menschen in die Lage versetzt, ihr Leben so zu führen, wie sie es selbst gerne führen möchten.« 290
Die Befähigung aller zur Mitwirkung am gesellschaftlichen Lebensprozeß ungeachtet ihrer sonstigen Unterschiede, selbst unter
Einschluß ihrer materiellen Ungleichheit, bedeutet |272| an sich kein Sakrileg. Ungleichheit in einer Hinsicht, Einkommen und Vermögen betreffend, impliziert nicht zwingend rechtliche,
politische, kulturelle Ungleichheit. Sie beugt, um das Mindeste zu sagen, derartigen Konsequenzen aber auch nicht vor. Eine
Analyse der versteckten wie offenkundigen Gefahren ökonomischer Ungleichheit aus der Perspektive der negativ von ihr Betroffenen
ist daher unumgänglich.
2. Die nächstliegende Gefahr besteht darin, daß der Zusammenhang von ökonomischer Lage und gesellschaftlicher Teilhabe erst
gelockert und dann gekündigt wird. In diesem Fall droht die soziale ENTWIRKLICHUNG der Gerechtigkeit, ihre Verwandlung in
eine Hypothese ohne praktische Beweiskraft. Die Logik der Fähigkeiten verlangt nicht nach gleichen Lebensbedingungen im rein
materiellen Sinn, aber sie verlangt (und definiert) sehr wohl ein variables Maß an Ressourcen, persönlichen wie öffentlichen,
die die Entdeckung und Erprobung individueller Vermögen erst ermöglichen. Das Teilhabeargument, weit davon entfernt, reale
Lebenslagen in den Hintergrund zu spielen, berührt, redlich vorgetragen, den Grund der Existenz. Die »neue« Gerechtigkeit
führt nicht über die materielle Welt hinaus, sondern, unter modifizierten Prämissen, zu ihr zurück. Auskömmliches Einkommen,
gegebenenfalls Unterhalt, Alimentierung, staatliche Mobilisierung individueller Einkommensanteile für die Ausstattung des
Gemeinwesens mit kollektiven Gütern: Das ist nicht einfach abgetan, erledigt, altes Umverteilungsdenken. Der wortführende
Diskurs des »Neoklubs« erweckt oft den Anschein, als sollte von den harten Tatsachen der Teilhabe möglichst zurückhaltend,
vom Erbaulichen der »Partizipation« desto überschwenglicher gesprochen werden.
3. »Mehr ökonomische Rationalität in das sozialstaatliche Handeln!« – diese Eidesformel der sanierenden Reform (§ 33.6; 34.1)
durchdringt auch das politisch dominante Gerechtigkeitsverständnis unserer Zeit. Kampf dem Mißbrauch sozialer Leistungen,
dem Besitzstandsdenken, der Anspruchsinflation, zum Vorteil aller. Knapp bemessene staatliche
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