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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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höher im gesellschaftlichen Ansehen als heute, wodurch der auf den einzelnen lastende Druck, etwas aus ihrem Leben
     zu machen, jedoch vermutlich nicht schwächer, sondern eher spürbarer würde, als er es gegenwärtig ist. Verhältnissen, unter
     denen man nur noch persönlich scheitern kann, eignet erbarmungslose Transparenz. Das soziale Drama wird radikal individualisiert;
     der Glücksanspruch, der fernere Ausreden nicht findet, nistet sich als Pflicht zum Glücklichsein ins Leben ein.
    7. Nur einer bekannte sich ohne Einschränkungen zur Freiheit in der Arbeit, durch die Arbeit: Charles Fourier. In seinem Modell
     der »anziehenden Produktionsweise« garantieren »Leidenschaftsserien« der Arbeit den periodischen Wechsel der je konkret vollzogenen
     Arbeit ebenso wie den zwischen leitenden und ausführenden Funktionen. Arbeit wird zum Lebensbedürfnis, auf eine Weise, die
     die Grenzen zwischen Notwendigkeitsexistenz und freiem Dasein aufhebt: »In der sozialistischen Ordnung muß deshalb die Arbeit |38| so viel Reiz bieten wie heute unsere Festlichkeiten und Schauspiele.« An die Stelle des alten Arbeitszwangs tritt die »Liebe
     zur Arbeit« (§ 11.2). 26 Victor Considerant, sein Schüler und Popularisator, nimmt diesem euphorischen Gedanken etwas von seinem mitreißenden Schwung,
     wenn er drei Faktoren des gesellschaftlichen Wohlstands auflistet und die Arbeit zwischen dem Kapital und dem Talent plaziert. 27 Kann es eine Liebe zur Arbeit geben, der der Genuß an der Entwicklung der eigenen Talente versagt bleibt? Öffnet sich hier
     eine Hintertür zu Arbeiten, die an und für sich lieblos sind, dürstend nach Ausgleich und Kompensation? Der Verdacht liegt
     nahe; ausgesprochen wird er nicht.
    § 4 Der Arbeitsglaube und seine Entzauberung
    1. Freiheit als Freisein VON Arbeit – das bildet den Ausgangspunkt des europäischen Diskurses über die menschliche Praxis;
     der Gedanke, Freiheit und Autonomie durch Arbeit erst zu erlangen, lag jenseits der herrschenden Vorstellungskraft. Blitzte
     er ausnahmsweise auf, wie in Hesiods Lehrgedicht
Werke und Tage
oder in Euripides’ Tragödie
Elektra
, assoziierte er sich wie selbstverständlich der Gestalt des Bauern, des Landmanns. Als Koproduzent der allumfassenden Natur,
     in ihren Kreislauf eingelassen, ihn menschlichen Zwecken dienstbar machend, entsprach er noch am ehesten dem Ideal des schöpferischen,
     im Ganzen aufgehobenen Menschen. Alle anderen Arten des Hervorbringens standen unter kulturellem Vorbehalt, die schwersten
     und gröbsten unter sozialer Quarantäne; hier schlossen sich Arbeit und menschliche Bestimmung unversöhnlich aus.
    Zwei Jahrtausende mußten vergehen, um diesen Bund zu gründen, in utopischer Gestalt, und, wie man sah, nicht frei von Rückfällen
     ins überkommene Denken. Mit der Zeit gewann die neue Anschauung jedoch dieselbe Macht über die Menschen wie jene, die sie
     verdrängte; bald empfand man |39| das Lob der Muße als ebenso anstößig wie einstmals den Preisgesang der Arbeit. Jede Gesellschafts- und Kulturepoche verrät
     ihre geheimsten Neigungen durch das, wovon sie sich provozieren läßt. Der Lobredner des Nichtstuns ist der Provokateur par
     excellence der MODERNEN Welt. Noch in unserer Zeit, die sich anschickt, das letzte kulturelle Tabu, das letzte Denkverbot
     zu musealisieren, kann er der öffentlichen Empörung sicher sein. Sich treiben lassen und dennoch, gerade darin glücklich sein,
     das ist ein unerlaubtes Glück. In einer Ära, die Ziel und Ankunft über alles stellt, besteht die Pflicht des sozialen Treibsands
     in seiner zur Schau getragenen Verzagtheit, darin, den anderen ein abschreckendes Beispiel zu geben. Die allgemeine Geschäftigkeit
     kennt kein ärgeres Ärgernis als die selbstzufriedene, ruhige Drift des Lebens.
    2. Die späten Erben dieses zwanglosen Geschehenlassens berufen sich gern auf Paul Lafargue, sein Buch
Das Recht auf Faulheit
. Aber anerkennt nicht wenigstens stillschweigend die »Ordnung«, wer um Recht und Anerkennung eines weniger ordentlichen Lebens
     kämpft? Es gibt einen älteren Text, der keinen solchen Kratzfuß macht – Friedrich Schlegels
Lucinde
aus dem ausgehenden achtzehnten Jahrhundert. Darin findet sich eine »Idylle über den Müßiggang«, die das prometheische Menschenbild
     kunstvoll verhöhnte: »Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? Kann dieser
     Sturm und Drang der unendlichen Pflanze der Menschheit, die im

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