Buerger, ohne Arbeit
verglüht ist … Indem die Askese die Welt umzubauen und in der
Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über
den Menschen, wie |42| niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist – ob endgültig, wer weiß es? – aus diesem Gehäuse entwichen … Auf dem
Gebiet seiner höchsten Entfesselung, in den Vereinigten Staaten, neigt das seines religiös-ethischen Strebens entkleidete
Erwerbsstreben heute dazu, sich mit rein agonalen Leidenschaften zu assoziieren, die ihm nicht selten geradezu den Charakter
des Sports aufprägen.« 29
In einem irrt Weber, vermutlich. Keine westliche Industriegesellschaft war und ist, was ihre sozialmoralische, arbeitsethische
Grundlage anbetrifft, stärker und anhaltender vom protestantischen Arbeitsethos durchdrungen als die US-amerikanische. Insofern
eilt sie, in dieser Hinsicht, der Entwicklung hin zur Schwächung, Aushöhlung des modernen Arbeitsglaubens gerade nicht voraus,
sondern scheint diesbezüglich im Nachtrab begriffen. Aber überall dort, wo Webers Diagnose zutrifft, gilt auch ihre Konsequenz:
Die Vergottung einer Arbeit, in der kein Gott mehr wohnt, entspringt der Angst, der Leere ins Auge zu sehen. Es ist das Gespenst
des Nihilismus, das die Befreiung von der Arbeit hintertreibt. Was dem Aufbruch in ein Leben ohne Arbeit fehlt, ist mehr als
alles andere die Antwort auf die Frage nach dem WOZU.
5. Agonale Leidenschaften, pervertierter Agon, blinder Wetteifer am falschen Objekt – so sah Max Weber auf die entzauberte
Arbeit zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Man kann seinen Blick prophetisch nennen, richtete er sich doch auf ein sehr
frühes Stadium dieses Entzauberungsprozesses. Arbeit als Sport, als unfreiwillig-groteske Verrenkung, als »Chaplinitis«, das
setzte endlose Teilung der Arbeit und deren Zusammenfügung auf der Grundlage der Fließfertigung voraus, Erfindungen von Taylor
und Ford, die erst ein Jahrzehnt nach der
Ethik
reif für die Praxis waren. Nun erst funktionierte der Arbeiter als perfektes, perfektioniertes Teil des ihm aufgezwungenen
Fabriksystems, war er dem Kapital als stummer Repetitor eines vorgegebenen Takts auch sachlich einverleibt. 30
|43| Es geschieht nicht häufig, daß soziale Prozesse, die die Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens umwälzen, von innen reflektiert
werden, aus der Teilnehmerperspektive eines Theoretikers. Ein solcher Glücksfall der Soziologie ist Günther Anders. Nachdem
der studierte Philosoph 1936 als deutscher Jude in die Vereinigten Staaten geflüchtet war, schlug er sich dort längere Zeit
als Gelegenheitsarbeiter durch. Er erfuhr das »stahlharte Gehäuse der Hörigkeit«, das Weber in düsterer Vorahnung entworfen
hatte, am eigenen Leib und begriff es gleich diesem als Verfall der Arbeit: »In der Tat wäre es auch falsch und zuviel Ehre
für unser damaliges Tun gewesen, dieses ›Arbeiten‹ zu nennen. Da es zielblind vor sich ging, war es eher eine Art von Gymnastik,
die aus sich immer gleich bleibenden Freiübungen bestand, oder richtiger: aus
›Unfrei-Übungen‹
, denn
was an diesen, vom Fließband diktierten, Bewegungen wäre denn noch ›frei‹ gewesen ?«
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Er begriff darüber hinaus, warum Menschen davor zurückschrecken, sich von solcher »Arbeit« zu befreien, warum sie, im Gegenteil,
ein »Recht auf Gymnastik« proklamieren. Den Rhythmus des eigenen Lebens zu entdecken, ihn persönlich zu skandieren ist eine
unerhörte, erschreckende Aussicht für Menschen, die bis in die kapillarischen Verästelungen ihres Selbst hinein zwangsrhythmisiert
wurden. Statt die Wiederherstellung des »ganzen Menschen« auch nur einzuleiten, führt der Verlust der an sich nichtigen Gymnastik,
dieser verfluchten Arbeit, unmittelbar zur Konfrontation mit dem geschrumpften Radius der eigenen Möglichkeiten. Freilich:
Es gibt noch andere, gleich gewichtige Gründe, an solcher Arbeit festzuhalten; wir werden später davon hören.
Was aber, wenn der Entzauberungsprozeß damit noch nicht an sein Ende gelangt ist, wenn er weiter voranschreitet und sogar
den Sportsgeist aus der Arbeit vergrault, weil er ihm den Schweiß mißgönnt? Dann überschreiten wir die Schwelle zur automatisierten
Arbeit, zur Automatisierung |44| in ihrer frühen Form, bei der die Arbeitssituation gänzlich entleert ist, keinerlei Hinweise mehr enthält, weder auf einen
sozialen Zusammenhang noch auf
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