Buerger, ohne Arbeit
Stillen von selber wächst und sich bildet, nährenden Saft oder
schöne Gestaltung geben? Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart und wirkt auch nichts als
Langeweile, fremde und eigne … Nur mit Gelassenheit und Sanftmut, in der heiligen Stille der echten Passivität kann man sich
an sein ganzes Ich erinnern, und die Welt und das Leben anschauen … In der Tat sollte man das Studium des Müßiggangs nicht
so sträflich vernachlässigen, sondern es zur Kunst und Wissenschaft, ja |40| zur Religion bilden! Um alles in Eins zu fassen: je göttlicher ein Mensch oder ein Werk des Menschen ist, je ähnlicher werden
sie der Pflanze; diese ist unter allen Formen der Natur die sittlichste, und die schönste. Und also wäre ja das höchste vollendete
Leben nichts als ein
reines Vegetieren
.« 28 – So ärgert man den bürgerlichen Anstand geziemend.
3. Kann es da noch verwundern, daß, nachdem der Bund von Arbeit und wahrem Menschsein einmal geschmiedet war, noch einmal
rund ein halbes Jahrtausend verstrich, ehe man wagte, ihn wieder zu lösen, zögernd zunächst, im Denken, und voller Sorge darüber,
was aus dem Menschen wird, der sich VON Arbeit löst, mehr noch aus jenem, von dem SIE sich löst? Für die historische Verspätung,
mit der das Gegenkonzept – Befreiung VON der Arbeit – auf moderner Grundlage ausgearbeitet wurde, liefert noch immer Max Weber
die überzeugendsten Gründe. Seine
Protestantische Ethik
betrachtet den Protestantismus, insonderheit den Calvinismus als religiöse Vorschulen des neuzeitlichen Arbeitsglaubens, in
denen Arbeit mehr und mehr zur systematischen Veranstaltung wurde, zur rational betriebenen »innerweltlichen Askese«. Sie
bahnte den Weg von der Arbeit als existentieller Nötigung zur Arbeit als methodischer Lebensführung, als detaillierter und
kontinuierlicher Selbsttechnik. Arbeit, sie allein, verhinderte im neuen Diskurs das Abirren der Sinne, das Abgleiten des
Menschen in ein müßiges, sündhaftes Leben; Gerüst einer peniblen moralischen Buchführung, war sie für die einzelnen zugleich
unsicherer, aber einziger Anhaltspunkt künftiger Erlösung. Als von Gott vorgeschriebener Selbstzweck des irdischen Lebens,
als praktisches Paradox, formte sie Generation um Generation, stimmte sie zusammen mit der Einstellung auch Wahrnehmung, Gefühle,
Anschauungen, Dogmen, Theorien auf diesen epochalen Werteumschwung ab. Das sozialutopische Denken, reflektiertester Ausdruck
des radikal gewandelten Arbeitsverständnisses, ist ohne diese Vorgeschichte nicht zu |41| denken, mögen es just Katholiken gewesen sein, die sich ihm verschrieben. Es kam so weit, daß die Befreiung von der Arbeit
auf den Verlust des Menschen, des Menschlichen im Menschen, hinauszulaufen schien. Die Macht des modernen Arbeitsglaubens
lebte von der Angst, ihn zu verlieren.
4. Um den Glauben und damit die ethische Selbsteinspannung in das moderne Gehäuse der Arbeitshörigkeit aufrechtzuerhalten,
wurde diese Angst in dem Maße unverzichtbarer, aber auch untauglicher, in dem die Säkularisierung der Weltbilder voranschritt.
»Ein Leben ohne Arbeit« war nur eine andere Formulierung für: »Gott ist tot«, und so beugten sich immer weitere Generationen
furchtsam unter die Arbeit, auch dann noch, als sich der Geist des Beginnens, von historischer Berufung und persönlichem Berufensein
längst zu verflüchtigen begonnen hatte. Das tragische Finale von Webers
Protestantischer Ethik
, das dieses Sichverbeißen in eine inzwischen Instrument gewordene Arbeit intoniert, ist bekannt genug. Einige kürzere Passagen
sollen gleichwohl folgen, teils, um den weiteren Gedankengang vorzubereiten, teils und in erster Linie, weil sie bis auf den
heutigen Tag an gedanklicher Klarheit und sprachlicher Meisterschaft unübertroffen sind. – »Der Puritaner WOLLTE Berufsmensch
sein – wir MÜSSEN es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche
Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile daran mit, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen
und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen, der heute den
Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden … mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht
bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs
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