Buerger, ohne Arbeit
menschliche Aktivität überhaupt, sei sie auch noch so fremdbestimmt. Dann erscheint die Gestalt
des Wärters, der in Wahrheit ein Wartender ist, wartend darauf, daß möglichst nichts geschieht; gespanntes Nichtstun, das
sich mit der Dauer des Arbeitstages deckt. Agon, selbst der entartete, wird gänzlich ausgelöscht. Anders, der auch diesen
Übergang reflektierte, nunmehr aus der Distanz, glaubte fest, daß die Automatisierung zu einer Neubewertung der fordistischen
Arbeitsweise führen werde. Schon »übermorgen« würde der tragische Mangel an Perspektive, an Denk- und Handlungsmöglichkeiten,
unter denen der Mensch in der automatisierten Welt leide, zu einer überwältigenden Sehnsucht nach Anstrengung, nach Tun, nach
bloßer Motorik führen. Dem durch die völlige Entgeisterung milde gestimmten Rückblick erschiene die verhaßte Fließbandarbeit
in der Form ihres Gegenteils, als letzte, richtige Arbeit der Menschheitsgeschichte. 32
6. Der tragische Mangel an Perspektive, den Anders seinen Zeitgenossen zuschrieb, ereilte zuletzt ihn selbst. Er prophezeite,
daß Automatisierung, auf großer Stufenleiter betrieben, Arbeitslosigkeit als unauslöschlichen Begleiter des Reichtums produziert.
Nicht, wie man die Früchte der Arbeit gerecht verteile, sondern wie man die Konsequenzen der Nichtarbeit menschlich erträglich
gestalte, laute die kardinale Zukunftsfrage. Wer Vollbeschäftigung sagt, der will betrügen! – das war seine Überzeugung. Nur
hielt er seinerseits Betrug und Selbstbetrug für unausweichlich, das war sein Drama. Ein Ozean der freien Zeit entsteht, und
die Menschen müssen auf ihm navigieren lernen. Und genau diese Fähigkeit sprach er ihnen ab. Er sah sie zur Arbeit verflucht,
außerstande, sich davon anders abzulösen als auf triviale Weise, durch Unterhaltung
around the clock.
Daß die Befreiung von der Arbeit strandet, auf der nächsten |45| Sandbank seichten Zeitvertreibs, hielt er, verglichen mit dem, was noch passieren könnte, für das kleinere Übel. »Denn die
Arbeitslosigkeit, die uns bevorsteht, wird die, die vor 50 Jahren geherrscht hat, als harmlos erscheinen lassen. Wenn man
bedenkt, daß schon die damalige eine der Hauptursachen des Nationalsozialismus gewesen war, dann kann einem der Mut vergehen,
sich vorzustellen, was die bevorstehende hervorbringen wird. Gar nicht unmöglich, daß die (damals wirtschaftlich widersinnigen)
Auschwitzer Gasöfen die Modelle für die ›Bewältigung‹ der Tatsache, daß es, verglichen mit Arbeitsgelegenheiten,
›zu viele Menschen gibt‹
, abgeben werden.« 33
§ 5 Vom Elend des Animal laborans
1. Befreiung in der Arbeit – das Thema scheint nach DEM erledigt, Befreiung von der Arbeit ohne Hoffnung: mediales Narrenparadies
oder sozialer Genozid. Was konnte plausibler erscheinen als das Unterfangen, dem modernen Arbeitsglauben jedweder Form den
Todesstoß zu geben. Niemand unterzog sich ihm mit größerer Ausführlichkeit und größerer Leidenschaft als Hannah Arendt. Die
Arbeit, das Arbeiten ein für allemal zu diskreditieren, Platz zur Wiederbelebung älterer Vorstellungen des aktiven, tätigen
Menschen zu schaffen, ließ sie nichts unversucht. Doch das Objekt des Angriffs zeigt sich als versierter Gegner: Gut getarnt
und immer nur zum Schein geschlagen, behält es das letzte Wort.
Im ersten Kräftemessen muß sich die Arbeit gegen das Herstellen behaupten,
Animal laborans
gegen
Homo faber
. Die Chancen sind denkbar ungleich verteilt; der
Homo faber
schafft für die Ewigkeit, das
Animal laborans
trifft der Vorwurf, daß seine Arbeit nichts objektiv Greifbares hinterläßt, daß das Resultat seiner Mühe gleich wieder verzehrt
wird oder sie nur um ein sehr Geringes überdauert. 34 Erkennt |46| man beide also an ihrem Produkt, an dessen Lebensdauer, so daß das Brot wie von selbst auf das Arbeitstier verweist, der Tisch,
Generationen von Benutzern zu Diensten, den Werkmann ins Bewußtsein ruft? Arendt spielt mit diesem Gedanken, ist aber klug
genug, ihn wieder zu verwerfen, weil er sichtlich in die Irre geht. Die billigste Fabrikwaren ein paar Schuhe, mit Bedacht
getragen, unterscheidet sich, wie sie selbst einräumen muß, von der erlesenen Delikatesse noch dadurch, daß sie nicht verdirbt,
Eigenständigkeit besitzt, die sie befähigt, die wechselnden Launen ihres Besitzers für einen recht beträchtlichen Zeitraum
zu überdauern. Der Versuch, Arbeit zum am wenigsten »welthaltigen«,
Weitere Kostenlose Bücher