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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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sie von fern mit seinem Blick von oben streift; der Snob WILL kränken, und muß sich dazu
     eigens in gehobene Stimmung bringen. Das
Animal laborans
als
Homo clausus
ist so ein Stimmungsbild. Die »Bedürfnisse und Begierden« der Arbeitsbevölkerung (was der Wunsch dem Gebildeten, ist dem Pöbel
     die Begierde!) als weder versteh-, noch kommunizierbar abzutun, ins Subhumane abzuschieben bedeutet, aus Prinzip, nicht aus
     Versehen zu entgleisen; den Makel wäscht kein Regen ab.
    4. Arendt strebt zurück zu Platon und zu Aristoteles; deren Ideal, ein von menschlicher Mühe unabhängiges Dasein, ist auch
     ihres. Ihre zum Teil gehässigen Ausfälle gegen den Arbeiter als sozialen Typus gehen in die letzte Runde, wenn sie seine Abschaffung,
     seine Vertreibung aus der menschlichen Gesellschaft bereits in vollem Zuge sieht. Nur kann sie ihren Triumph nicht auskosten,
     weil zugleich mit dem Verschwinden des
Animal laborans
die Freiheit selber zu verschwinden droht. Weitergehende Mechanisierung |49| und Automatisierung werden den Sinn für »das Höhere« nicht wiederbeleben, nicht bei der Mehrheit; erneut entflammt ihr Zorn:
     »… die überschüssige Zeit des Animal laborans wird niemals für etwas anderes verbraucht als Konsumieren, und je mehr Zeit
     ihm gelassen wird, desto begehrlicher und bedrohlicher werden seine Wünsche und sein Appetit.« 37
    Aufstellen zur Siegerehrung, Blitzlicht, Beifall von den schlechten Plätzen, Pokal, Schleife, Lorbeer für das Arbeitstier,
     Auszug, Flucht der feineren Gemüter aus der Arena, tragisches Finale: der Mensch dankt ab: »Denn es ist ja eine Arbeitsgesellschaft,
     die von den Fesseln der Arbeit befreit werden soll, und diese Gesellschaft kennt kaum noch vom Hörensagen die höheren und
     sinnvolleren Tätigkeiten, um derentwillen die Befreiung sich lohnen würde. Innerhalb dieser Gesellschaft, die egalitär ist,
     weil dies die der Arbeit angemessene Lebensform ist, gibt es keine Gruppe, keine Aristokratie politischer oder geistiger Art,
     die eine Wiederholung der Vermögen des Menschen in die Wege leiten könnte … Was könnte verhängnisvoller sein.« 38
    5. Arendts intellektueller Snobismus besitzt gegenüber vielen späteren Variationen den Vorzug unbedingter Ehrlichkeit. Sie
     verabscheut das »Volk«, seine niederen Beschäftigungen ebenso wie seine für schal erklärten Freuden, seine rohen »Begierden«
     und drückt das unumwunden aus. Heute formuliert man schamhafter, dezenter: »Ein Einzelner, der sich nur als Arbeitender begreift,
     lebt eindimensional und verfehlt die Fülle der Lebensmöglichkeiten.« 39 Er verfehlt sie in der Arbeit, weil diese »Mühe und Plage« und mit Glück »kaum in Einklang zu bringen« ist, und wenn er die
     Arbeit verliert, fühlt er sich viel zu gedrückt, um das Leben in seiner Fülle genießen zu können. Ergo: Gesellschaften, die
     sich vom Vollbeschäftigungsideal entfernen, müssen das Selbstwertgefühl des einzelnen von der Erwerbsarbeit emanzipieren.
     Um daraus keine zynische Empfehlung an die Arbeitslosen abzuleiten, sich seelisch über den Verlust der Arbeit zu |50| erheben, müßte die Entkopplung von Leben und Arbeit auf der Zuteilung eines arbeitsfreien Grundeinkommens an die unfreiwillig
     Arbeitslosen fußen. 40
    Unbefriedigend wie die Prämissen dieser »menschenfreundlichen« Vergegenwärtigung Arendtschen Denkens sind die Schlußfolgerungen.
     Arbeit als Mühsal, als glückloses Tun – das entwirft ein allzu mattes Bild der gegenwärtigen Arbeitswelt. Die Identifizierung
     des Menschen mit »seiner« Arbeit dürfte in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften im Verlauf der zurückliegenden zwei,
     drei Jahrzehnte trotz gegenläufiger Tendenzen im ganzen eher zu- als abgenommen haben. Sollte sich diese Vermutung erhärten,
     dann trifft Menschen, die heute ihre Arbeit verlieren, dieser Verlust in der Regel subjektiv einschneidender als früher; zusammen
     mit der Erwerbsquelle versiegt die alltägliche »Funktionslust«. Das arbeitsfreie Grundeinkommen milderte die rein wirtschaftliche
     Einbuße, ohne die frei gewordenen Aktionsvalenzen wirksam sättigen zu können; offene, wunde Enden, die nicht vernarben wollen,
     ratlos nach Anschluß und Bewandtnis fragen. Wer über die Arbeitsgesellschaft hinausgelangen will, muß dieses Drama und diesen
     Schmerz ermessen können. Wer gar der Arbeit als solcher den Kampf ansagt, wie Hannah Arendt, muß den Gegner in seiner vollen
     Lebensgröße zeigen, mit allen

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