Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
Vom Netzwerk:
seinen Waffen und Überredungskünsten; alles andere wäre plumpe Überrumpelung eines zuvor zurechtgestutzten
     Widerparts.
    § 6 Die Spinne Arbeit
    1. Ein Kardinalfehler in bezug auf die moderne Erwerbsarbeit besteht darin, sie auf die sachliche Verrichtung, den stoffwechselnden
     Vorgang zu reduzieren. Er führt umgehend zu einer akademischen Scheinfrage: Wie kann man an Arbeiten hängen, die nach Ablauf
     und Umständen nichts Gewinnendes, Anziehendes besitzen, die den Menschen lebenslang |51| an eine Teilfunktion adaptieren, seinen Geist unterfordern, seine Kräfte verschleißen, seinen Nerv töten oder seine Gesundheit
     untergraben? Kein Unternehmer käme auf die Idee, Arbeit als isolierten und isolierbaren Akt eines Individuums anzusehen. Selbst
     wenn er die Arbeit bis ins kleinste teilt, die Kommunikation auf ein Minimum beschränkt, weiß er die Gratisgaben des Zusammenwirkens
     vieler wohl zu schätzen. Was ihm sein kalkulierender Verstand sagt, sagt den Arbeitenden ihr sozialer Sinn. Aus gutem Grund
     hängen sie noch am ärmlichsten Austausch mit ihresgleichen oftmals inniger als an ihrer speziellen Funktion.
    Was immer Erwerbsarbeit sonst noch vermag, sie knüpft ein soziales Netz, im Herstellungsprozeß und weit darüber hinaus. Die
     Sachbindung des gemeinschaftlichen Tuns ist deshalb nicht belanglos, sekundär. Als zwischen Mensch und Mensch sich schiebendes
     Drittes fokussiert sie das Zusammenwirken auf den Ernst des Lebens, formuliert sie Aufgabe und Herausforderung, deren Bewältigung
     Befriedigung verschafft, nicht trotz, sondern gerade aufgrund der herben Zumutung, die der Dienst am Objektiven für das Individuum
     bedeutet. Derselbe Sachbezug verhindert die restlose Vereinnahmung des einzelnen durch die Gemeinschaft, deren Glied er ist.
     Jeder kann sich bei Bedarf auf das zurückziehen, was jeweils »Sache« ist, und sich den anderen auch wieder öffnen. Dank dieser
     Eigenschaft wohnt Arbeit die Potenz zur Erlösung vom Lastenden der mitmenschlichen Beziehung inne, setzt sie, des weiteren,
     einen Kontrapunkt zum familiären Leben. »Work is not simply a way to make a living and support one’s family.« 41
    Arbeit als solches »objektives« Wirken rhythmisiert den Lebensfluß, spannt ihn in ein feines Raster zeitlicher und räumlicher
     Bezüge, worin er Orientierung, Perspektive auch für die läßlicher geordneten Momente des arbeitsfreien Daseins findet. Sie
     verknüpft soziale, zeitliche und räumliche Netze zu einem vierdimensionalen Zeit-Raum, |52| zum irdischen Kosmos des Menschen, aus dem jäh gestoßen wird, wer die Arbeit verliert. Binnen kurzem verflüchtigt sich die
     Vektoreigenschaft der Zeit, verschwimmt das eben noch genaue Zeitgefühl zu einer nur mehr groben Gliederung von Tag und Woche,
     hört das Denken und Planen in kompakteren zeitlichen Einheiten auf, stellen sich infolge des Ausgesperrtseins vom gesellschaftlichen
     Raum klaustrophobische Gefühle, Ängste ein, die keinen Auslauf finden. 42 Man muß sich schon eine reichlich verdrehte Vorstellung von der Erwerbsarbeit machen, um glauben zu können, sie verstoße
     den Menschen aus der sozialen Welt, schneide ihn von seiner eigentlichen Bestimmung ab. Anders als die intellektuelle Marotte
     es will, war und ist sie für ungezählte Millionen von Menschen Inbegriff des In-der-Welt-Seins, des Aufgehobenseins in ihr,
     ähnelt sie in nichts dem berühmten Fiaker, aus dem man nach Belieben aussteigt und seiner Wege geht.
    2. Kern der Vergesellschaftung des Menschen, eröffnet die Teilhabe am Erwerbsleben noch viele andere Zugänge ins soziale Leben.
     Arbeit als gemeinschaftlich betriebener Stoffwechsel mit der Natur steht im Mittelpunkt des Produktionsprozesses. Doch um
     ihn herum, einer Korona gleich, formt sich oftmals eine Gesellschaft im kleinen. Das gilt für eine Vielzahl kapitalistischer
     Unternehmen ebenso, wie es für die größeren Wirtschaftskomplexe im Staatssozialismus galt. Das Beispiel der ehemaligen Wolfener
     Filmfabrik mag das verdeutlichen. 43 Dort wurde gearbeitet, gewiß. Aber in die Arbeitssphäre eingelassen, Arbeit zur Sphäre eigentlich erst weitend, waren auch:
     
    Betriebskinderkrippen und -kindergärten
    Ferienheime
    vier Ambulatorien
    eine Physiotherapie
    eine Sauna
    eine Apotheke
    |53| eine Bibliothek
    eine Buchhandlung
    ein Werkstheater
    ein Filmstudio
    ein Fotozirkel
    ein Malzirkel
    ein Chor
    ein Kinder- und Jugendballett
    Sportvereine
    eine Sparkasse
    eine Werkstischlerei
    eine

Weitere Kostenlose Bücher