Buerger, ohne Arbeit
Brustbild, heroisch inszeniert,
verdunkelte seinen hintergründigen Wesenszug, auch wieder abzuschaffen, was er schuf, verbarg ihn wie ein Familiengeheimnis,
dessen man sich schämen muß.
4. Produktive Arbeit oder unproduktive – alles nur eine Frage der Anstellung? Im Grunde schon, sofern man alle |365| Konsequenzen mitbedenkt, die der Übergang zum Lohnarbeitsverhältnis in sich birgt. Die Veränderung der rechtlichen und vertraglichen
Beziehungen bildet nur einen Aspekt des Umwälzungsprozesses, und zwar einen sekundären. Das Aufkommen der Lohnarbeit führt
schnell zu Unterschieden in der Sache selbst, die zu erledigen ist, im Beschäftigungsprofil, in der gesamten Arbeitsweise
– in der Regel. Und die regiert den großen Wurf.
Der selbständig wirtschaftende Bauer, Tischler, Schneider, Schuster arbeitet allein oder mit wenigen (von ihm persönlich abhängigen)
Gehilfen für den Eigenbedarf oder für eine kleine Käuferschar. Die Kniffe und Verfahren, die dabei zum Einsatz gelangen, gehen
von einer Generation auf die nächste über, und oft genug vererbt sich auch der Kundenkreis; für Arbeitsteilung und Neuerungen
gibt es nur geringen Anreiz; Zünfte und Gilden wachen im Bund mit lokalen, munizipalen oder staatlichen Autoritäten über die
Wahrung der Tradition. Die elementare Überlebenseinheit, die Familie, zusammenzuhalten und vor Not zu bewahren, kostet Umsicht
und Schweiß, und wenn bescheidener Wohlstand dem Trachten und Sinnen einen größeren Radius eröffnen, dämpft der Neid der Nachbarn
»übertriebene« Ambitionen.
Hier greift der Kapitalismus an. Die kleine Werkstatt weicht der Manufaktur und später der Fabrik. Zu Arbeiterbataillonen
zusammengefaßt, unterliegen die einst separaten Produzenten nunmehr systematischer Teilung und Kombination ihrer Arbeit, die
genau dadurch aufhört, »ihre« zu sein. Zur jetzt detailliert und methodisch betriebenen Arbeitsorganisation gesellt sich der
Druck der Konkurrenz. Penibler Kostenvergleich und Preiskampf spornen Neuerungen an, revolutionieren die Arbeitsweise, den
produktiven Apparat. Der Kundenkreis gewinnt an Umfang, lokale Märkte verbinden sich zu nationalen. Serien- und Massenproduktion
drängen die Einzelfertigung in den Hintergrund, die Lohnstückkosten fallen. Tüftler und Bastler treten als Pioniere der Verwissenschaftlichung
des Produktionsprozesses |366| auf den Plan und ersetzen Menschen durch Maschinen, die den Ausstoß potenzieren.
Das alles ist bekannt genug, für unser Thema, die produktive Arbeit, gleichwohl noch nicht genügend ausgelotet.
Das neue Anstellungsverhältnis, die Lohnarbeit, geht einher mit fundamentalen Umbrüchen des Arbeits- und Produktionsgeschehens.
Sie befähigen die einzelnen Lohnarbeiter zu Leistungen, die sie im alten Arrangement selbst bei größter Anspannung aller Kräfte
nie erreicht hätten. Der zunächst sprunghafte, dann immer aufs neue sich ereignende Anstieg der Arbeitsproduktivität birgt
das Geheimnis ihrer Profitabilität, für Adam Smith das Kennzeichen schlechthin der produktiven Arbeit. Produktive Arbeit ist,
um es pointiert zu sagen, PRODUKTIVER als unproduktive Arbeit, sachlich fruchtbringender, leistungsfähiger, effizienter als
diese. Komplementär dazu gilt: In allen Fällen, in denen der kapitalistische Arbeitsvertrag keine Revolutionierung der Arbeitsweise
anstößt, keinen Leistungs- und Effizienzsprung, in denen die Veränderung nur auf den Namen des Chefs hört, kann von produktiver
Arbeit im genauen Sinne dieser Formel keine Rede sein; das ist der Merksatz des Bisherigen, der weitere Beachtung fordert.
5. Die klassische Nationalökonomie hätschelt den Unternehmer als sozialen Typus nicht, sie predigt ihm hartherzig Wasser statt
Wein. Der Anspruch des Kapitalisten, Eigentümer und zugleich produktiver Arbeiter aus eigenem Recht zu sein, muß sich ernste
Ermahnungen gefallen lassen und durch Askese überzeugen. Durch innerweltliche Askese, unverzückt Profanem zugewandt; gelitten
ist der Bourgeois einzig als »Arbeitgeber«, der seine Pflichten kennt: »Durch die Beschäftigung einer Vielzahl von Manufakturarbeitern
wird ein Mann reich; durch den Unterhalt einer Vielzahl von Bediensteten wird er arm.« 433
Dieser Appell beleuchtet die produktive Arbeit von ihrer spröden Seite. In ihrem Umkreis wird alles unter Nützlichkeitsaspekten
gesehen und bewertet; was hier diktiert, ist der |367| Notwendigkeitsgeschmack. Für die Masse
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