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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Hierarchien, erkannte man niemand anderem
     als dem »Volk«, den »arbeitenden Ständen«, die Krone der Schöpfung zu. Mit derselben Vehemenz, mit der sich der »gute Ruf«
     von der »Geburt« und dem »Geblüt« schied, heftete er sich hinfort an »Arbeit« und »Gewerbefleiß«, an den BERUF, den eine(r)
     mit Ausdauer und Geschicklichkeit versah.
    Geistesgeschichtlich betrachtet war diese aufrührerische Klassifikation ein Kind der Nationalökonomie, der Leitwissenschaft
     des modernen Bürgertums. Die hatte sich seit längerem aufs kritische Befragen jedweder Art der menschlichen Lebensführung
     verlegt und die Schicksalsfrage der |363| neuen Epoche aufgeworfen: Welche Beschäftigungen erzeugen den Reichtum der Nationen und mehren ihn, welche zehren ihn nur
     auf oder verschwenden ihn sogar?
    Die Antwort der zeitgenössischen Philosophen: die Arbeit ist Fundament und Quelle dieses Reichtums (§ 17: 1), befriedigte
     die Ökonomen nicht. Hatten doch auch Klerus und Adel von der Arbeit gelebt, der Arbeit anderer, und deren Früchte verpraßt.
     Ihre »Arbeit« bestand im wesentlichen in der Konsumtion, und eine solch schändliche Verhöhnung des bürgerlichen Arbeitsethos
     war nicht länger hinzunehmen. Die Organisation der Arbeit im ganzen spottete jeglicher Vernunft. Hohe Geistlichkeit und Aristokratie
     hatten all jene Arbeiten gefördert, die der Zerstreuung und dem Luxus dienten, und den auf die Befriedigung der elementaren
     Lebensbedürfnisse gerichteten Eifer gehemmt. Auf Arbeit überhaupt, als solche, konnte sich der Reichtum der Nationen nicht
     verlassen; die kritische Frage lautete: Welche Arbeiten sind wahrhaft produktiv, welche, Samt hin, Seide her, im Kern unproduktiv?
    3. Die erste Auskunft erteilten François Quesnay und seine Schule, die Physiokraten: Produktiv, weil fruchtbar auf eine mit
     Händen zu greifende Weise, dabei aufs glücklichste von der Natur unterstützt, sei allein die auf die Bebauung und Kultivierung
     des Bodens gerichtete Mühe. Das Leben, der einzelnen ebenso wie der Gesellschaft, die sie miteinander bilden, hinge davon
     ab. 431
    Falsch! befanden Adam Smith und die von ihm sich herleitende ökonomische Klassik. Wesen und Umfang der produktiven Arbeit
     seien keinesfalls deckungsgleich mit diesem oder jenem Wirtschaftszweig; der produktive Charakter einer Arbeitsleistung bemesse
     sich nicht nach ihrer Erdverbundenheit, ihrem Feld- oder Stallgeruch. Ob Arbeit den Wert des Gegenstands, den sie formt, erhöhe
     oder ob sie keine solche Wirkung zeitige – das gäbe den Ausschlag. Jede Arbeit, die des Tischlers wie die des Landmanns, sei
     eines solchen Wertzuwachses fähig, vorausgesetzt, es handele |364| sich um Lohnarbeit im Dienst des Kapitals. Zwar erhielte der Lohnarbeiter seinen Lohn vom Unternehmer vorgeschossen, Material
     und Werkzeuge gestellt; träte er mit und neben seinesgleichen in Aktion, entgälte er seinem Dienstherrn diese Kosten und füge,
     damit nicht genug, dem von ihm verarbeiteten Material noch einen Profit hinzu. Das sei das Erkennungsmal der produktiven Arbeit.
     Je mehr Arbeiter der produktiven Sorte eine Nation zähle, desto größeren Reichtum häufe sie an, desto glücklicher dürfe sie
     sich schätzen. 432
    Damit war auch der unproduktiven Arbeit ihr Urteil gesprochen. Sie galt als Arbeit minderer Art, als makelhaft, weil sie lediglich
     die Kosten deckte, die nötig waren, sie in Gang zu setzen, und den Mehrwert schuldig blieb. – In einer Gesellschaft kleiner
     Warenproduzenten (Bauern, Handwerker, Ladenbesitzer etc.) ist das die Norm. Hier arbeiten Menschen auf eigene Rechnung und
     in eigener Regie, und wenn es gut geht, können sie vom Ertrag ihrer Arbeiten ihr Dasein fristen. Das »Leben« ist das Maß der
     Dinge, nicht der schrankenlos wachsende Reichtum oder der Profit. Dessen Wahlspruch lautete: Verwandlung unproduktiver Arbeiter
     in produktive, und das war gleichbedeutend mit der Verwandlung selbständiger Produzenten, die isoliert voneinander oder in
     kleinen Einheiten arbeiteten, in abhängig Beschäftigte, die, nach Hunderten und Tausenden zählend, unter dem Kommando des
     Kapitals ihr Tageswerk verrichteten. Wer diese Metamorphose vorantrieb und organisierte, firmierte seinerseits als produktiver
     Arbeiter. Mit dem Kapitalisten betrat erstmals in der Weltgeschichte ein Repräsentant ökonomischer Macht die Bühne, der sich
     über und durch Arbeit definierte, genauer: als ein Lohnarbeiter schaffendes Wesen. Sein breites

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