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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Aufgabe, deren Erfüllung jenseits unseres Belieben steht, die uns etwas abverlangt, Sachverhaftung, Dienstbereitschaft,
     Triebkontrolle, bildet Arbeit den harten Resonanzboden auch der drei anderen Praxisformen. Andere Menschen handelnd in unsere
     Pläne zu verwickeln, ihren Plänen aufgeschlossen zu begegnen, das erfordert, je nach Perspektive, Überzeugungskraft, Ausdauer,
     Zurückhaltung, und strapaziert den guten Willen aller, dabeizubleiben, oftmals sehr. Das ist die »Arbeit«, die Menschen leisten
     müssen, um gemeinsam etwas zu erreichen, zu bewirken. – Die |378| tätige Person mutet sich das alles selber zu. Ohne Begierden, die auf sofortige Befriedigung drängen, zu bezähmen und den
     Fokus nach innen zu richten, auf das, was »kommt«, ein Thema, ein Motiv, eine Idee, entsteht kein schöpferisches Selbstverhältnis,
     und danach strebt das Tätigsein; auch dafür liefert »Arbeit« eine sinnvolle Beschreibung. – Das produzierende Subjekt ist
     diesbezüglich vom tätigen nicht essentiell geschieden, der Unterschied greift erst in einer späteren Phase gliedernd ein.
    Derselbe Durchgang, nun vom Handeln her ins Werk gesetzt, zeigt Arbeit als einen kooperativen Vorgang, um so markanter, je
     näher wir der Arbeitswelt von Heute treten, die die Betonung auf die Gruppe, das Team, das produzierende Ensemble legt. Zwar
     verflüchtigt sich die Freiheit des Entschlusses, das Band von Mensch zu Mensch zu knüpfen, und kehrt als Auftrag wieder; im
     Rahmen dieser Fremdbestimmung fragt heutige Lohnarbeit nach Handlungsfähigkeiten und fordert sie gezielt heraus. Die einst
     stummen und stereotypen Gebärden des »Herstellens« werden Teil einer Choreographie, die Handreichungen, Worte und Blicke sozial
     koordiniert, eine Entwicklung, die in der Welt des neuen Angestellten kulminiert, wo »Arbeit« unmittelbar »Austausch« und
     »Kommunkation« bedeutet (§ 11) – Beim Tätigsein sowie beim Produzieren schrumpft das Handeln, sieht man auf den Hauptvorgang,
     zur Randbedingung ein. Andere können, müssen aber nicht zugegen sein, und in den eigentlich schöpferischen Episoden stören
     sie zumeist. Der Austausch konzentriert sich auf das Vorher und Nachher, auf Hypothesenbildung und Problemstellung, Auswertung
     und Kritik und dominiert diese Abschnitte des Schaffensprozesses.
    Mit der Rückeroberung von Handlungskompetenzen stieß die Arbeit im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts bis dicht
     an die Grenze echter Tätigkeiten vor und durchbrach sie in einer ganzen Reihe von Professionen. Es greift zu kurz, im »schöpferischen«
     Arbeiter und Angestellten |379| nur Projektionen einer raffinierten Motivationsstrategie der Unternehmen erblicken zu wollen. Der volle Genuß eigener Kraft-
     und Spielimpulse, den allein selbstbestimmtes Tätigsein gewährt, bleibt beiden allerdings versagt; einen Vorgeschmack darauf
     erhalten sie jedoch, mitunter. – Das produzierende Subjekt setzt das tätige voraus, schließt es gleichsam in sich ein, so
     daß alle Aussagen, die den tätigen Menschen betreffen, ohne Einschränkung für den produzierenden gelten. – Aber nicht umgekehrt.
     Der Produzierende übertrifft, überragt den Tätigen unendlich, unermeßlich, auch wenn beide in ihrer Grundverfassung und in
     ihren Intentionen wie Zwillinge erscheinen. Das produzierende Subjekt weiß von sich in seiner Besonderheit gerade in jenen
     Augenblicken, in denen es nichts mehr weiß und, vom »Blitz der Eingebung« getroffen, ergriffen und ehrfurchtsvoll zu Boden
     sinkt, Sinne und Blick auf »Höheres« gerichtet. Dahin zu gelangen, ohne ein Genie zu sein, erfordert schonungslosen Umgang
     mit den eigenen Kraftreserven, ist über weite Strecken verdammtester Ernst, und in dieser Bewandtnis »arbeitet« niemand härter,
     besessener und entsagungsreicher als der Mensch im Akt des Produzierens. Sein Lohn ist dementsprechend, »himmlisch« wie im
     eigentlichen unverdient, denn was ihm zufiel, hätte bei ähnlicher nimmermüder Anspannung dem oder der Nächstbesten gleichermaßen
     gebührt. Der Übergang vom tätigen zum produzierenden Menschen vollzieht sich auf die ungerechteste Art, die denkbar ist, als
     geistige »Gnadenwahl«, wozu, als unverlangte Antwort, nur Dankbarkeit und Demut passen. – Ein Arbeitsbegriff, der kein Gespür
     für diese Nuancen und Stufungen entwickelt, der alles, auch das Subtilste, unter »Arbeit« subsumiert, ist ungeschlacht und
     roh, »barbarisch«.
    12. Ferne Welten, nahe

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