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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Unerhörten. Riskant zu produzieren, das heißt mit ungewissem
     Ausgang, unter Wahrung der persönlichen Integrität, das verlangt immer den inneren Abstand zum und manchmal auch den äußeren
     Bruch mit dem Kapitalverhältnis und seinen kommerziellen Strategien.
    So arrogant es wäre, der Köchin eigenen Geschmack abzusprechen, ihren Kummer über den kruden Gaumen ihrer Gäste und ihren
     Prinzipal, der sie darauf verpflichtet, als nebensächlich abzutun, so zuverlässig richtig ist die Beobachtung, daß dieser
     ästhetisch-moralische Dauerkonflikt zwischen Kapital und »Arbeit« im Gebiete des Geistigen an Häufigkeit und Dramatik gewinnt.
     Hier treten die wechselseitigen Ansprüche und Qualitätsmaßstäbe häufig auf eine Weise auseinander, die keinen dauerhaften
     Kompromiß und erst recht keine Versöhnung gestattet. Profitablität und Produktivität bilden ein Paar, das zuweilen gute Geschäftsbeziehungen
     pflegt, sich aber nicht umarmen kann oder doch nur so, daß der eine Teil den anderen dabei erdrückt. Überhaupt sind die Worte
     »produktiv«, »Produktivität«, jedes für sich, doppelt zu nehmen und zu lesen. Der »produktive Arbeiter« meint und beabsichtigt
     nicht dasselbe wie der »produktive |374| Mensch«, und die Produktivität, die sich im Profit verkörpert, im Verkaufserfolg der kulturellen GÜTER, impliziert deren GÜTE
     nicht.
    Seiner Produktivität am gewissesten weiß sich der Forscher, Dichter, Denker, sobald er sich keinen Deut um das schert, was
     man von ihm als »produktivem Arbeiter« erwartet. Als autonomer Produzent ruft er Potenzen auf, die sich das Kapital zunutze
     machen, derer es sich aber niemals ganz bemeistern kann; hier erfährt es seine Grenzen. Das, was am Produzieren »Arbeit« ist,
     untersteht dem Kapital; der Rest ist ihm, ist jeder Art sozialer Herrschaft und Kontrolle, weitgehend unzugänglich, unverfüglich.
     Das heißt im Umkehrschluß: Als Produzierender emanzipiert sich der Mensch von den Regimenten des Nutzens und der Macht, und
     zugleich überschreitet er die Grenze, die ihm als Arbeitender gesetzt ist. Der autonome Produzent wirkt jenseits von Kapital
     und Arbeit, mitten im Kapitalismus, und was herauskommt, ist ein WERK, SEIN Werk.
    Dazu gleich Näheres, zuvor bleibt zu betrachten, wie der Begriff der produktiven Arbeit, zu letzter Konsequenz geführt, sich
     selber aufhebt und Platz schafft für das »Eigentliche« menschlichen Strebens und Vermögens.
    9. Kann jemand produktiver Arbeiter sein, ohne direkt mitzutun, selbst Hand anzulegen im Fertigungsprozeß? Natürlich, wie
     wir bereits wissen, und diese mittelbare Arbeitsweise hängt wiederum und diesmal eindeutig am Kapitalverhältnis: Zusammenfassung
     vieler, vormals voneinander isolierter Individuen zu einer »arbeitenden Körperschaft«. Funktionen, die bislang in einer Person
     vereint waren, treten auseinander, verselbständigen sich zu »Hauptnahrungszweigen« darauf spezialisierter Personen. Die einen
     entwerfen das Produkt, andere stellen es her, wieder andere wachen über seine Zuverlässigkeit oder regeln den Verkauf. Aber
     auch das Gegenteil geschieht: einst voneinander getrennte Funktionen fließen in einem beständig sich ausweitenden Fertigungsprozeß
     zusammen. Jedes größere Unternehmen von |375| einiger Bedeutung gründet eine Forschungsabteilung, die mit dem anderen Arbeitssektoren planmäßig kooperiert. Im Ergebnis
     formiert sich ein »Gesamtarbeiter« 439 , und je mehr Glieder er umfaßt, desto schwieriger gestaltet sich die äußere Abgrenzung. Wenn, um an anderem Ort Gesagtes
     aufzugreifen, der Forscher zur Herstellung komplizierter und hochwertiger Waren unverzichtbar beiträgt, warum dann nicht ebenso
     der Universitätsprofessor, bei dem er sein Wissen erwarb? Und gingen beide nicht zuvor zur Schule? Tritt auf diesem Umweg
     etwa auch der gute alte Schulmeister dem Gesamtarbeiter bei, als produktiver Arbeiter, unabhängig davon, wo er seinen Pflichten
     jeweils nachgeht? Verleibt sich dieser ökonomische Leviathan womöglich sämtliche Funktionen und Personen ein, die den unmittelbaren
     Produktionsprozeß gesellschaftlich vorbereiten und vermitteln, die dafür sorgen, daß er geordnet und ohne größere Störungen
     von innen wie von außen vonstatten geht? Wiederkehr also des Richters, des Verwaltungsbeamten, des Offiziers als produktive
     Arbeiter, zuzüglich der Eltern, die ihre Kinder großziehen und unabsehbar vieler anderer? Hieße das aber nicht, den

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