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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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war. Die Kluft zwischen erworbenen und in der Arbeit
     nachgefragten Fähigkeiten öffnete sich zusehends und ließ die subjektiven Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums,
     Arbeitsfleiß und Arbeitsfreude, mehr und mehr versiegen. Sie zu schließen, den bedrohlichen Abwärtstrend von Produktivität
     und Unternehmergewinnen abzufangen, war der Postfordismus angetreten. Er konnte sein Versprechen nur erfüllen, wenn er die
     Arbeitenden in sein Konzept mit einbezog, indem er ihnen etwas von dem zurückgab, was Arbeitsprotokoll und Fließband ihnen
     entrissen hatten. Das Zentrum des ganzen produktiven Arrangements, die Arbeit, mußte – wieder oder erstmals – zum Bedürfnis
     werden, an und für sich attraktiv, Hand und Kopf förderlich oder sie doch wenigstens im Ansatz fordernd.
    Für einen fest umrissenen Kreis der Beschäftigten erfüllte sich das Versprechen. Die nach der neuen Lehre umstrukturierten
     Unternehmen setzten auf hochqualifizierte Kernbelegschaften mit weitgefächertem Aufgabenspektrum und entwickeltem Verantwortungsbewußtsein
     für das ihnen zugewiesene »Ganze«. Für diese Begünstigten verwandelte sich Arbeit auf hohem technisch-technologischen Niveau
     in das zurück, was sie einstmals war, in Herstellen. Die der Qualifizierung der Arbeit parallel laufende »Individualisierung
     der Arbeitsverhältnisse« 57 erwies sich dagegen von Anfang an als zwieschlächtiger Vorgang. Die größere Selbständigkeit, die kleine Gruppen und einzelne
     im Arbeitsprozeß gewannen, wurde mit dem schwindenden Zusammengehörigkeitsgefühl der Arbeiter untereinander erkauft.
    4. Französische Soziologen untersuchten diesen ambivalenten Effekt anhand einer Praxis, die unter der modernen Arbeiterschaft
     seit je verbreitet war – der Praxis des gemeinschaftlichen Lohnvergleichs; Studienobjekt waren die Peugeot-Werke |63| in Sochaux. 58 Dort vollzog sich die Ablösung des fordistischen Produktionsregimes in den späten siebziger Jahren. Amerikanische Unternehmensberater
     führten in kurzer Zeit die neuen Grundsätze ein: Teamarbeit, Flexibilität und multifunktionelles Anforderungsprofil, größere
     Typenvielfalt. Die physische Belastung sank, die psychische Beanspruchung stieg, wie stets in solchen Fällen. Mit dieser Umstellung
     kamen die Stammarbeiter noch gut zu Rande. Sie verstörte etwas anderes. Mit der Veränderung der funktionellen Abläufe ging
     der Konzern dazu über, frei werdende Stellen auf Zeit und vornehmlich mit jungen Leuten zu besetzen, in der begründeten Erwartung,
     diese würden sich ohne Widerstreben und nach kurzer Schulung in die neue Arbeitsweise finden. Die Arbeiterschaft spaltete
     sich in »Etablierte« und »Außenseiter« auf, die sich mit gegenseitigem Mißtrauen begegneten. Schließlich wurde ein neues Prämiensystem
     eingeführt, das die einzelnen zu außerkontraktlichen Leistungen »überredete« und die Teams unter inneren Konkurrenzdruck setzte.
     Die Auswirkungen dieser aufeinander abgestimmten Maßnahmen zeigten sich bald. Innerhalb weniger Jahre löste sich eine ritualisierte
     Gewohnheit, so alt wie die moderne Arbeitsgesellschaft selbst, fast ohne Rückstand auf. Ein Alteingesessener erklärte den
     Forschern, was geschehen war: »Jetzt das große Problem … die Leute, die eine außerplanmäßige Prämie auf Vorschlag haben, die
     reden nicht darüber, das ist schwer mitzukriegen. Sogar die Lohnzettel zeigen sie nicht mehr her, jeder schnappt sich seinen
     Lohnzettel und schielt ihn in seinem Winkelchen an … Vorher gab es das Prämienproblem nicht, da verglichen wir unsere Bezahlung
     schon rein deshalb, um zu sehen, ob kein Fehler drin wäre …« Ein anderer, auch er zum Stamm gehörend, verlieh derselben Beobachtung
     mehr Tiefenschärfe: »Ich glaube, das Prämiensystem ist das Schlimmste von allem, … die Leute (mögen) ihren Lohnzettel nicht
     herzeigen, und dann, ich weiß nicht, ob es Neid oder sonstwas ist, aber es herrscht so ein Unbehagen … Der |64| Zusammenhalt der Gruppe, der ging gegen die Chefs, gegen die Meister, jetzt dagegen ist es ein Verbünden von Arbeitern gegen
     andere Arbeiter … Die Arbeiter, die dagegen sind, die bestimmte Ungerechtigkeiten nicht durchgehen lassen, die die Arbeitsbelastung
     nicht ertragen, diese Leute da, die sind nicht gern gesehen. In den 70er, 80er Jahren, wenn sie uns die Löhnung gaben, legten
     wir sie alle nebeneinander auf einen Tisch, schauten sie alle an, eine neben der anderen; man verglich die

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