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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Herrschaftsmethode jedoch an seine Grenze gelangt.
     Seither begnügten sich die industriellen Gesellschaften mit einer weitaus lockereren Macht über den Körper, gezwungenermaßen.
     Die Disziplinen konnten die Körper nur gelehrig, nützlich und verwertbar machen, indem sie sie als prominenten Ort sozialer
     Kämpfe definierten, körperliches Bewußtsein und Begehren weckten, und dieses Begehren schlage nun zurück. 60
    6. Warum den Übergang zum Postfordismus dann nicht gleich einem anderen Urheber zuschreiben – der Gesellschaft der Individuen,
     den widerspenstigen einzelnen, der »Multitude«? Zerbrach das Disziplinarregime nicht infolge wachsenden Widerstands, sich
     ausweitender Proteste von unten? Waren nicht die Eliten die eigentlich Getriebenen, dazu gezwungen, eine neue Form der Kontrolle
     zu errichten, um ihr Kommando über Menschen, die sich der Disziplinierung widersetzten, überhaupt noch aufrechterhalten zu
     können? Kamen sie in ihrer Not gar nicht umhin, dem massenhaften Bedürfnis nach freier Entfaltung der menschlichen Produktivität
     Rechnung zu tragen? Michael Hardt und Antonio Negri bejahen diese Fragen. Sie verstehen den Postfordismus als halbherzige
     Antwort auf die 68er Kulturrevolte, |67| die sie ihrerseits als vorgeschobenen Posten eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wertewandels betrachten. 61 Die weiterreichende Forderung bestehe darin, das vom Kapitalismus nur widerstrebend und einseitig aufgegriffene Freiheitsprojekt
     unverkürzt zu verwirklichen: »Das Recht auf Wiederaneignung ist somit in Wahrheit das Recht der Menge auf Selbstkontrolle
     und autonome Eigenproduktion.« 62 Vermittelt der Postfordismus, auf seinen kulturellen Kern reduziert, also doch einen Vorgeschmack auf die schließliche Befreiung
     der Menschen in der Arbeit, durch die Arbeit? Und wie könnte, müßte man sich eine Gesellschaft befreit arbeitender Menschen
     vorstellen?
    § 8 Pro und kontra André Gorz
    1. Unter allen Theoretikern, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben, ragt André Gorz hervor. Er hat im Laufe seines
     langen Forscherlebens so ziemlich alle denkbaren Antworten durchgespielt, einige verworfen, andere modifiziert und auf den
     jeweils letzten Stand der Entwicklung abgestimmt. Eine kritische Würdigung dieses Denk- und Suchprozesses ist somit unvermeidlich.
    Bis hinein in die späten 1960er Jahre war »Befreiung in der Arbeit« für Gorz eine realistische Strategie der modernen Arbeiterbewegung.
     Gemeinsam mit Technikern, Ingenieuren, Wissenschaftlern müßten die Arbeiter noch unter dem Kapitalismus um die Aneignung des
     produktiven Apparates kämpfen, und zwar im klaren Bewußtsein, daß dieser Kampf über den Status quo hinausführt. Schöpferisches
     Tun, Hingabe an die Arbeit, Erfüllung in ihr seien mit den Kriterien kapitalistischer Rentabilität wesentlich unverträglich. 63 – Der politischen Ernüchterung in den 1970er Jahren folgte die konzeptionelle Revision. Nunmehr stand die »unmögliche kollektive
     Aneignung« der Produktionsbedingungen im Mittelpunkt des Gorzschen Denkens. 64 Hochspezialisierte |68| Fertigungsprozesse, gestützt auf komplizierte Technik und ausgefeilte Technologie, erlaubten weder eine gemeinschaftliche
     Inbesitznahme des Ganzen, noch unterstützten sie die Utopie des ganzheitlichen Menschen. Der polytechnische Arbeiter sei eine
     Fiktion, von der man sich nach Taylor, Ford und der Automatisierung ebenso verabschieden müsse wie vom Glauben an eine neue
     Rätebewegung. Dieser Position zufolge kann es Freiheit und Autonomie nur jenseits der Arbeit geben, muß man der Arbeit selbst
     als einer unentrinnbaren Notwendigkeit gehorchen, ohne etwas in sie hineinzulegen, was nicht zu ihr gehört. Um sich von der
     Arbeit emanzipieren zu können, muß sie sachlich so rationell wie möglich gestaltet und zeitlich in enge Grenzen gefaßt werden.
     Arbeit ist und bleibt Teil des Lebens aller, ohne es jedoch zu okkupieren. Die Notwendigkeitsexistenz des Menschen kann niemals
     gänzlich aufgehoben, wohl aber an den Rand gedrängt, als etwas betrachtet und praktiziert werden, das es AUCH noch gibt.
    Diese »dualistische Konzeption« führt kulturell und politisch weiter als jene, die sie ablöste, befriedigt aber nicht. Sie
     erfaßt Arbeit ausschließlich als anonymes, triviales Geschehen »ohne Würde und moralische Autorität« 65 und verweigert der zu dieser Zeit bereits eingeleiteten Reorganisation von Arbeitsweise und Arbeitsverhältnissen

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