Buerger, ohne Arbeit
standhaft
die Anerkennung. Noch ganz dem Fordismus zugekehrt, dem Neuen systematisch abgewandt, rief sie ihrerseits nach Überprüfung.
2. Die Übergangsformel, mit der sich Gorz auf die neuen Gegebenheiten einzustellen begann, hieß »Neofordismus« 66 ; das Präfix der Fügung verriet deren Vorläufigkeit. Noch immer galt sein hauptsächliches Interesse dem fordistischen Produktionsregime
und dessen Konsequenzen, Massenproduktion und Massenkonsumtion, schilderte er mit wachsender Sorge, wie es die Autonomiesphäre
belagert, erobert, kommerzialisiert, bestand er auf seinem Schwarz-Weiß-Porträt, das hier die banalisierte Arbeit, dort |69| das freie Spiel der menschlichen Vermögen zeigt. Nur zögernd kommt Farbe ins Bild. Daß Arbeit mit anspruchsvollen Aufgaben,
sozialem Austausch, echter Kooperation und gutem Einvernehmen einhergehen kann, wird immerhin denkbar, obgleich umgehend relativiert:
»Aber diese Befreiung in den
Arbeitsbeziehungen
bedeutet weder die Autonomie der Arbeit selbst noch die Selbstbestimmung (oder Selbstverwaltung) ihres Zwecks und Inhalts
durch die Arbeiter.« 67 Im Bedürfnis nach Arbeit meldet sich ein Bedürfnis nach Gesellschaft, nach gesellschaftlicher Freiheit, das in der Arbeit
entweder gar nicht oder nur unter glücklichen Umständen und auch dann nur limitiert befriedigt werden kann. Herrschaft, Verfügung
über das Ganze der Arbeit bleiben selbst jenen versagt, für die sie zum Bedürfnis wird; Befreiung in der Arbeit ist ein Privileg,
Befreiung DER Arbeit ist ein Phantom. – Zeitigt die privilegierte Erfahrung mit der Arbeit deshalb keine Konsequenzen? Übt
sie keine Anziehungskraft auf die weniger Glücklichen aus? Führt sie, gesellschaftlich gesehen, tatsächlich zu nichts anderem
als zu der Illusion, Arbeit könnte zur menschlichen Bestimmung führen, zur Selbstergreifung des Subjekts? Lauter Fragen, die
Gorz zu dieser Zeit nicht ernstlich reflektiert.
3. Er greift sie auch später nur mit merklicher Reserve auf. Daß die fordistische Rationalisierung der Arbeit ihre Grenze
erreicht hatte, Neofordismus zu Postfordismus geworden war, akzeptierte er seit der Mitte der achtziger Jahre als unumstößliche
Tatsache. Dem Anspruch des neuen Regimes, Arbeit und Leben wieder miteinander zu versöhnen, mißtraute er jedoch zutiefst.
Qualifizierung und Reprofessionalisierung der Arbeit erschienen nach wie vor als zweifelhafte Privilegien der neuen Arbeiterelite,
die nur allzubereit war, das öffentliche Glück ungeteilter Autonomie gegen das kleine Glück wieder interessant gewordener
Verrichtungen einzutauschen. Das Volk der Arbeitswelt lebte unverändert auf dem Gegenpol, inmitten banalisierter |70| Arbeit, prekärer Arbeitsverhältnisse, weder imstande noch willens, sich mit ihnen zu identifizieren. Davon, von der Mehrheitserfahrung,
mußte sich eine zeitgemäße Politik der Arbeit leiten lassen. »Gute« Arbeit für alle gehörte der Vergangenheit an, das hatte
der Postfordismus unwiderruflich bewiesen. Insofern betrat die neue Arbeiterelite die ökonomische Bühne im selben historischen
Moment, indem ihr Gott, die Arbeit, ihre letzte Entzauberung erfuhr. Die Arbeitsgesellschaft war überholt, nicht, weil der
Gesellschaft die Arbeit auszugehen drohte, sondern weil Arbeit aufgehört hatte, das Medium der gesellschaftlichen Integration
schlechthin zu sein; für alle reichte es nicht, nie wieder. DAS war die Botschaft, die es zu verkünden galt, und das war das
Programm, das sich aus ihr ergab: gerechte Verteilung der verfügbaren Arbeitsplätze und der erzeugten Reichtümer. »Jede(r)
muß weniger arbeiten können, damit jede(r) mit Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienen kann.« 68
Nur, wie gewinnt man die privilegierten Fraktionen für diese Politik? Wie heilt man sie von ihrem säkularisierten Arbeitsglauben,
überzeugt sie davon, daß es noch lohnendere Lebensziele gibt, wenn man Arbeit als Grund der Existenz verewigt? Wie läutert
sich der Arbeitende zum Menschen, wenn der Bürger Arbeiter bleibt? Ist die Verallgemeinerung der Arbeit überhaupt eine Perspektive,
die über die Arbeitsgesellschaft hinausweist? Gehört sie ihr nicht vielmehr an – als radikal-demokratische Variante? Müßte
der arbeitende Mensch, der sich mit seinem Tun identifiziert, nicht vielmehr mit der Möglichkeit ARBEITSFREIEN Glücks geködert
werden? Und wie anders könnte das geschehen, als durch leibhaftige Vorbilder solchen Daseins? Gorz weiß
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