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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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beschritt man einen alternativen Weg, der Belebung von innen versprach. Man ersann einen öffentlichen
     Festkalender, der zahlreiche Ereignisse verzeichnete oder direkt produzierte: sportliche Wettbewerbe, Treffen im Jugendklub,
     Erntefest, Kindertag, Tag der Freiwilligen Feuerwehr, Jubiläen aller Art. Um die Geselligkeit zu fördern, schien kein Anlaß
     zu gering. Als nächstes nahm man die Wiederinstandsetzung des Kulturhauses in Angriff, Raum für Raum, mit Geld aus allen Kassen,
     vom Arbeitsamt, dem Landesamt für Denkmalpflege, dem Landkreis, aus der Regionalförderung, Fördermitteln der Europäischen
     Union sowie aus der Gemeindekasse selbst.
    |58| Nur das Zusammenspiel von dörflicher Gemeinschaft, lokaler Autorität und unterschiedlichen Ebenen der Staatlichkeit ermöglichte
     diese Wieder-, Neuerfindung des Sozialen. Die Idee von der Zivilgesellschaft als dem geborenen Widersacher der »Bürokratie«
     ist ein Grundmißverständnis unserer Zeit; sie hofiert wortreich den Bürgersinn, degradiert ihn in der Praxis jedoch häufig
     zum Lückenbüßer eines säumigen, pflichtvergessenen Staates. Bürgersinn mit Staat im Rücken, Staat von Bürgersinn belebt, DAS
     ist des Rätsels Lösung.
    § 7 Postfordismus: neue Freiheit in der Arbeit?
    1. Die unaufhaltsame Verwandlung des
Homo faber
in
Animal laborans
war das Menetekel der automatisierten Gesellschaft, das Hannah Arendt schreckerfüllt beschwor. »Denn das eigentliche Kennzeichen
     der modernen Wirtschaft ist nicht so sehr die Warenproduktion wie die Umwandlung der Werktätigkeit in Arbeit.« 51 Daß sich das Umgekehrte ereignen könnte, die (partielle) Rückverwandlung von »Arbeit« in »Herstellen«, in wieder bewußteres,
     den einzelnen sachlich wie sozial stärker einbeziehendes Tun, lag jenseits ihrer Einbildungskraft. Doch so geschah es im weiteren
     Vollzug der dritten technologischen Revolution. So wie die beiden vorhergehenden Umwälzungen im Zeichen von Dampfmaschine
     und Elektrifizierung ihre Pioniere hatten, England zunächst, dann Deutschland und die USA, so sah der vorläufig letzte revolutionäre
     Schub Japan als Vorreiter der Entwicklung. Für diesen enormen Sprung des asiatischen Landes von der historischen Etappe an
     die Front des wirtschaftlichen Fortschritts gab es zahlreiche Gründe. Dazu gehört die kulturelle Offenheit des Landes, die
     Lernfähigkeit, Lernbegierigkeit seiner Eliten, die bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückdatiert. Anders als seinerzeit in
     China hieß man Fremde, besonders Europäer im Land willkommen, |59| zeigte man sich als gelehriger Schüler für deren Erkenntnisse und Fähigkeiten aufgeschlossen und war bald imstande, deren
     Waffen und sonstige technische Geräte nachzubauen. Eine dem Calvinismus in vielem vergleichbare Arbeitsmoral förderte die
     Aufholjagd. Als es im folgenden Säkulum zu einem Rückfall in die Isolation kam, der sich mit besonderer Härte gegen die zur
     westlichen Kultur konvertierten Landsleute richtete, froren die Verhältnisse für lange Dekaden ein. Im achtzehnten Jahrhundert
     verständigte man sich auf eine neue Strategie. Sie hielt an der Ablehnung der westlichen Lebensart fest, nahm das profane
     Wissen und Können des Westens aber davon aus.
    Die »schleichende« Revolution der Jahre 1867/68 bescherte vor allem Technikern und Verwaltungsfachleuten einen enormen Machtgewinn;
     sie luden nun wieder Experten aus dem Ausland ein und schickten selber wißbegierige Leute in die Ferne. Auf diesen doppelten
     Wissenserwerb gegründet, wurden das Militär, aber auch die Administration und das gesamte Bildungssystem grundlegend reformiert.
     Die teils gewaltsame Gegenwehr entmachteter Gruppen und Stände, speziell der
Samurai
, verlangsamte den Prozeß, ohne ihn rückgängig machen zu können. Wirtschaftspolitisch lag das Schwergewicht jetzt wie in den
     folgenden Jahrzehnten auf dem produzierenden Gewerbe, auf der Herstellung technisch anspruchsvoller Maschinen und Geräte sowie
     entwickelter Infrastrukturen. Japans erster großer Sprung, das war der Sprung mitten hinein in die zweite industrielle Revolution,
     die auf enger Synthese von Wissenschaft und industrieller Produktion beruhte. Ein weiter Satz, begleitet von einer brutalen
     Disziplinierung der arbeitenden Massen. Arbeitsethisch verankert und auf ein nationales, nationalistisches Projekt gegründet,
     das den Aufstieg Japans zur führenden asiatischen Macht versprach, gelang er schließlich. »Pflichtbewußtsein

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