Buerger, ohne Arbeit
oder ohne Begeisterung, |106| ist gesellschaftliche Funktion, zum Beruf geronnen, sachlich, zeitlich und sozial in ein vorgegebenes Schema eingepaßt (wie
flexibel auch immer) und als solches, vielfach konditioniertes, formelles Tun mit Anspruch auf Entgelt verbunden.
9. Die Drapierung von Tätigkeiten und Handlungen als Arbeit bestätigt die früher getroffene Feststellung, daß sich das Subjekt
auch in seinem Selbstbezug am Leitbild des
Homo oeconomicus
ausrichtet (§ 11.4). Die Konsequenz dieser inneren Unterwerfung ist die FRANKLINISIERUNG des Selbst, die vom einstigen Heroismus
dieser Übung nichts mehr weiß. Der Namensgeber dieses Neologismus, Benjamin Franklin, unterwarf sich, darin prototypisch für
eine ganze Ära, freiwillig einer methodischen Lebensführung, die in einem kleinlichen Tugendregister gipfelte. In Form einer
Tabelle angelegt, versah er Woche für Woche kleinere oder größere Vergehen gegen die Gebote der Mäßigkeit, Sparsamkeit, Reinlichkeit
etc. mit einem Kreuz. Häuften sich die Kreuze, war das gleichbedeutend mit der Aufforderung, die Arbeit an sich selbst zu
intensivieren, nahmen sie ab, verlagerte sich die moralische Beunruhigung nur auf eine andere Ebene; vielleicht war das beobachtende
Selbst mit dem handelnden nur zu nachsichtig verfahren. 99 Franklin ergründete seine Neigungen und Gefühle, kreiste sie durch eine moralische Buchführung ein, um sich über sie erheben
zu können. Strikte Selbstkontrolle, die Entwicklung einer gefestigten Persönlichkeit mochten sich auf das alltägliche und
berufliche Leben förderlich auswirken; vor allem galten sie jedoch als Wert an sich. Unmittelbar Kapital aus ihnen zu schlagen,
dazu erschienen diese Selbsttechniken weder geeignet noch bestimmt.
Franklins Erben denken diesbezüglich ganz pragmatisch. Sie propagieren die Verwertung von Gefühlen, die Kapitalisierung »emotionaler
Arbeiten« und spekulieren auf den Dank sensibler Unternehmer: »Das Private ist politisch – mehr denn je … Zusätzlich würde
die emotionale Erweiterung |107| des Arbeitsbegriffes das Private ökonomisch machen. Dabei wird nicht die öffentliche Kontrolle über die Privatsphäre angestrebt,
sondern die Anerkennung dessen, dass ein emotional lebendiges Privatleben mit naturgemäß glücklichen und unglücklichen Phasen
positive Auswirkungen auf eine erneuerte Ökonomie hat. Emotionale Arbeiten dienen dem seelischen Erhalt der Gesellschaft und
der Ökonomie, die eigentlich eins sein sollten.« 100
So befreit man in einem Zug die Arbeit, löst die Spannung von Wirtschaft und Gesellschaft auf – und landet inmitten der Selbstversklavung.
»Das Private ökonomisch machen«, das heißt, die Freigebigkeit menschlichen Strebens und Begehrens zu verramschen, ins ökonomische
Getriebe einzufunktionieren, und das alles nur, um sich einen Platz in einem Erwerbssystem zu erobern, das die Gefühle längst
für sich entdeckt hat, das auf der Gefühlsbahn wie auf einer guten Schmiere gleitet. Die Strategie des erweiterten Arbeitsverständnisses
mündet zuletzt in selbstverordnete Tyrannei.
10. Die Befreiung IN der Arbeit stieß an Grenzen ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit, die Befreiung DER Arbeit führte zur freiwilligen
Auslieferung des Individuums an die Mächte der Welt. Wozu sonst ermutigte dieses Fazit als dazu, sich aufs neue der Befreiung
VON der Arbeit zuzuwenden, und zwar in jener Fassung, die aufs Ganze geht – Lebensunterhalt für alle, mit oder ohne Stelle
im Erwerbssystem. Abriß also des fehlerhaft konstruierten Gebäudes und Entwurf eines neuen, diesmal nicht auf der Grundlage
der Arbeit, des Arbeiters, sondern auf der des Menschen, das heißt all dessen, was wir finden, wenn wir nach dem »Menschen«
fragen. Zuvor noch einige Bemerkungen zum Visavis der Arbeit, zu ihrem großen Gegenspieler.
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§ 13 Eigentum als soziale Architektur
1. Die Arbeit tritt über die angestammten Ufer des Erwerbs, das Eigentum besinnt sich auf seine unverzichtbaren Funktionen,
auf Oberaufsicht und auf Direktion – so könnte man die Lage kurz zusammenfassen. Die Organisation der Arbeit im Postfordismus
mit der für sie typischen Delegierung der Verantwortung nach unten entlastet die Unternehmensspitze von der alltäglichen Sorge
um das Eigentum. »Unternehmen« können die ausführenden Organe ebenso gut wie die leitenden, besser sogar, da nur sie mit den
Einzelheiten, den näheren Umständen des
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