Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
Vom Netzwerk:
orientiert, desto problematischer gestaltet
     sich der Arbeitsanspruch. Mitunter purzeln die Kategorien wild und ungeordnet durcheinander, so daß Arbeit als Grundform menschlicher
     Praxis hinter lauter »Arbeit« zu verschwinden droht, konturlos wird, wie in folgendem Dekret:
    »Als gesellschaftlich notwendige Arbeit anerkannt werden:
    - Erwerbsarbeit
    - Ehrenamtliches bürgerschaftliches Engagement
    - Familienarbeit
    - Bildung (Schule, Ausbildung, Studium, Weiterbildung, Zweitstudium, berufliche Neuqualifikation und ähnliche Bildungsanstrengungen
     wie musische, kulturelle, soziale, politische und ökologische Bildung).« 91
    Ich besuche einen Malkurs – arbeite ich da in irgendeinem Sinne, der den Gebrauch des Wortes »Arbeit« rechtfertigt? Ich wende
     mich liebevoll meinen Kindern zu, übernehme, ehrenamtlich, das Kassieren von Mitgliedsbeiträgen in einem Verein – reihe ich
     mich dadurch ins Heer der Arbeitenden ein? Handelt es sich hier überhaupt um formelle, formalisierbare Abläufe, um ausdifferenzierte
     Berufsbilder? Wie lange müßte ich diese »Arbeiten« leisten, um der Erwerbsarbeit analog entlohnt zu werden? Wie lange DARF
     ich sie umgekehrt versehen, um anderen nicht die Chance zu rauben, auf dieselbe Weise zu »Arbeitenden« zu avancieren? Und
     was |100| geschieht, wenn ich an all dem keinen Gefallen finde und dennoch leben möchte? Wird man zu einem System der Zwangsbewirtschaftung
     der Arbeit greifen, das jede und jeden unter »Arbeit« subsumiert, dem Grundsatz folgend: Hauptsache, alle arbeiten, gleichgültig
     wie und was? Eine Welt voller Kautelen, Abrechnungen, Registraturen, Beratern und Mentoren. Und das alles nur, damit der Bürger
     Arbeiter bleibt, wenn auch Arbeiter en miniature.
    Die allzuforsch zur »gesellschaftlich notwendigen Arbeit« versammelten Aktivitäten liegen nicht nebeneinander wie Kartoffeln
     auf einem Teller. Einige taugen zur Arbeit, andere gehören ins Reich der Tätigkeiten, wieder andere entsprechen dem, was man
     umgangssprachlich »Handeln« nennt, und manche können zur Arbeit nur aufsteigen, indem sie fallen, ihre Autonomie und ihre
     Würde verleugnen. Liebe, Zuwendung, Menschlichkeit als Beruf – das ist der Totalitarismus der Warenform, das Gespenst der
     Freiheit, universelle Prostitution. So macht man aus der Tugend eine Not.
    4. Der erweiterte Arbeitsbegriff in der Klemme. Auszug aus einem öffentlichen Gespräch des Soziologen Oskar Negt mit Verteidigern
     des »Rechts auf Faulheit«:
    »NEGT: Sie lösen die Arbeitsgesellschaft in Ihren Gedanken auf, aber nicht in der Realität … Ich halte das für ziemlich ausgedacht.
    FRAU AUS DEM PUBLIKUM: Alles Neue war am Anfang ausgedacht!
    NEGT: Sicher! Aber welcher Begriff ist unpräziser als der vom ›Recht auf Faulheit‹? Davon halte ich gar nichts! Der Arbeitsbegriff,
     den ich verwende, ist nicht unpräzise. Natürlich habe ich von einer für das Gemeinwesen nützlichen Arbeit gesprochen. Ich
     hätte auch auf Beziehungsarbeit eingehen können. Für mich ist Arbeit vielfältig und immer konkret kulturell bestimmt …
    MANN AUS DEM PUBLIKUM: Herr Negt, wenn Sie mal auf dem Bau oder im Supermarkt arbeiten müssten, dann würden Sie uns endlich
     verstehen!
    |101| NEGT: Was würde ich verstehen? Ich verstehe ja das Gefühl, dass Menschen keine Lust haben, entfremdete Arbeit zu machen!
    DER MANN: Überhaupt keine Arbeit!
    NEGT: Was? Überhaupt keine Arbeit? Was machen Sie dann? Sitzen Sie den ganzen Tag vorm Fernseher? Das ist eine tolle Emanzipation!
    GESPRÄCHSPARTNER AUF DEM PODIUM (G. PAOLI): Nun haben wir drei Tage diskutiert, um das am Ende zu hören – entweder arbeiten
     oder fernsehen! Was soll das! Ich kann das nicht fassen!
    NEGT: Jetzt glauben Sie wohl, einen großen Triumph über mich errungen zu haben!
    PAOLI : Gar nicht!
Aufregung im Saal
.
« 92
    5. Die unangenehmen Folgen mangelnder Begriffsbestimmung zeigen sich selbst dort, wo am Ausgangspunkt das explizite Bedürfnis
     steht, »Begriffe zu klären: Was ist Arbeit, Beschäftigung, Tätigkeit?«. 93 Doch statt der versprochenen Klärung erfolgt eine verschwommene Ausweitung des Arbeitsbegriffs, das Nebeneinanderstellen
     von Sachverhalten: »Zwar ist Arbeit, auch als Eigenarbeit und freie Tätigkeit, nie nur Lust, nur mühelose Verausgabung schöpferischer
     Phantasie, sondern immer mit Anstrengung und Verzicht verbunden, nie ganz und gar selbstbestimmt, weil der Widerstand der
     Dinge und die Notwendigkeit der Kooperation

Weitere Kostenlose Bücher