Buerger, ohne Arbeit
indem er das Denken kritisch gegen den Betrug der Sinne versichert,
das war das Cogito Descartes’. Unser Cogito lanciert den Selbstbetrug, den heimlichen zumindest; Löhnung als Himmelfahrt der
Mühe, das ist Wahrheit mit Lüge gemischt.
Mühe und Lohn stehen in einem ebenso intimen wie verwickelten Verhältnis, bilden ein streitbares Paar. Arbeit, auch |104| wo sie den Menschen erschöpft, erschöpft sich doch niemals in ihrem ökonomischen Finale, ist ein sozialer Verweisungszusammenhang
mit vielen Enden und Bezügen (§ 6). Sie ist über dieses Finale aber auch nicht erhaben, so daß es ebenso gut ausfallen könnte.
Nur der der Mühe für angemessen erachtete Lohn erhebt das Tun zur ganzen Arbeit; das hingeworfene Geldstück, Almosen kränken
die Mühe, stempeln sie zur fruchtlosen Plackerei. Tatsächlich ging es um den gerechten Lohn für gerade diese Mühe.
Vorausgesetzt, es handelt sich um Mühe, die die Mühe selber lohnt. Beschäftigungen, die einzig zu dem Zweck ersonnen werden,
daß sich die Hände regen, entbehren des Ernstes; als Verrichtungen, die auch unterbleiben könnten, erscheinen sie moralisch
in fragwürdigem Licht, als Arbeiten wieder nur an sich, von außen gesehen, nicht für die Arbeitenden selbst. So wie das Almosen
die Mühe schändet, die in der Notwendigkeit begründet war, beschämt der Lohn die Mühe, die der Notwendigkeit enträt, stuft
sie zur Therapie herab.
8. Und die Mühe, die ihre Erfüllung in sich selbst findet, die sich gleichsam selbst belohnt – ist sie empfänglich für den
äußeren Anreiz, seiner bedürftig? Man huldigt keinem groben Materialismus, wenn man diese Frage bejaht. Der schöpferisch tätige,
handelnde Mensch muß sein irdisches Dasein fristen wie jeder andere auch; der Lohn hat nichts Entehrendes. Allerdings ist
er nicht das Motiv des schöpferischen Prozesses, so daß dieser ablaufen kann und auch abzulaufen pflegt, wenn das Leben einigermaßen
gesichert ist. Überdurchschnittlich hohe materielle Gratifikationen mögen im Interesse des frei produzierenden Individuums
liegen und oftmals auch gewährt werden; in seinem Begriff liegen sie nicht (§ 3.4–5). Aber darum geht es hier eigentlich nicht.
In Frage stehen freie, schöpferische Aktivitäten unterhalb der Erwerbsschwelle und deren Verhältnis zu »ganzer Arbeit«; Arbeitsglaube
und Lohnhunger jener Menschen, die die Lohnarbeit schon hinter sich gelassen haben |105| oder die von ihr verlassen wurden. Der Arbeitslose, der auch ein Gartenfreund ist, der Pensionär, der sich als Großvater aufopferungsvoll
um seine Enkel kümmert: Arbeiten sie nicht, irgendwie, und sei es in noch so vermittelter, metaphorischer Weise? Der Anspruch
wird oftmals erhoben, ob im Verein mit der Forderung auf zusätzliche Vergütung oder nicht, und es fällt nicht schwer, das
dahinterstehende Bedürfnis zu erkennen, vollwertiges Mitglied einer Gesellschaft zu sein, die mehrheitlich um Arbeit kreist.
Ist das Begehren allein deshalb vernünftig? Wo ziehen wir die Grenze? Das Hobby, das Spiel, Arbeiten sui generis? Die Liebe,
Arbeit am Fortbestand der Gattung? Muß der emphatische Soziologe es mit Wittgenstein halten und die Bedeutung der Worte in
den Gebrauch setzen, denen die Sprecher unter je konkreten Umständen von ihnen machen? Verzichtet er auf distanzierte und
distanzierende Begriffe am besten ganz, um dem Vorwurf zu entgehen, den Akteuren von oben und außen vorzuschreiben, wer sie
»eigentlich« sind und was sie »in Wahrheit« tun?
Der Soziologe muß hören können, hören lernen, unbedingt. Aber hört er beim Arbeitslosen, der unermüdlich »arbeitet«, nicht
gerade den Wunsch heraus, er möchte wie einer genommen werden, der fraglos »dazugehört«? Bezeichnet der inflationäre Gebrauch
des Wortes »Arbeit« den Verlust des Gemeinten nicht überdeutlich mit, einem Phantomschmerz gleich, der nach Linderung sucht,
nach sozialen Prothesen? So ginge es also nicht um das passive Registrieren dessen, was man hört, sondern um Hören als Heraushören
des Mitgemeinten. Die daraus hervorgehenden Bestimmungen kommen nicht von außen und oben; sie sind Reflexionen, kritische
Analysen des subjektiven Sinns. »Ich arbeite«, von einem Zwangsreservisten der Arbeitswelt gesprochen, meint: Ich bin noch
aktiv, für andere Menschen da; man kann noch mit mir rechnen. »Ich arbeite«, direkt und ohne Metaphorik gesprochen, meint:
Was ich tue, MUSS erledigt werden, ob mit
Weitere Kostenlose Bücher