Buerger, ohne Arbeit
Regelfall individueller Existenzsicherung aufbaue.
Weder die neoliberale Dogmatik noch die von Keynes sich herleitende Wirtschaftspolitik wiesen einen Ausweg aus der Krise.
Wer immer verspreche, ein Rezept gegen die Arbeitslosigkeit zu haben, sage die Unwahrheit. Aber vielleicht bedurfte es gar
keiner Rezepte, kurierte sich die Arbeitslosigkeit mit ihrem eigenen Gift. Vielleicht lag die Lösung des Problems in den Betten
der noch kinderreichen Schichten, die sich alsbald entvölkern würden, wenn die Zukunftschancen düster blieben.
Die Hoffnung auf den »demographischen Faktor« als letzten Rettungsanker der Normalität war für die kühleren Köpfe schon zu
Beginn der 1980er Jahre weitgehend abgetan; man sollte sie heute nicht wiederbeleben. Zu vieles spricht gegen sie. Wäre Deutschland
eine reine Binnenökonomie, würde rein rechnerisch gesehen einfach im selben Verhältnis weniger konsumiert und daher produziert,
in dem die Bevölkerung schwindet. Verhältnismäßig bliebe alles beim alten, freilich auf kleinerer Stufenleiter. Statt vom
Schrumpfungsprozeß zu profitieren, würden Lehrstellen- und Arbeitsmärkte in ihn hineingerissen. Vermutlich träte sogar eine
Verschlechterung ein. Weniger Nachkommen, weniger potentielle Erwerbstätige, das wirkte und wirkt als kräftiger Anreiz für
Produktivitätssteigerungen, die Arbeitskräfte prophylaktisch freisetzen, noch ehe sich das Arbeitsangebot verknappt. Weniger
Nachkommen schmälern, damit nicht genug, den Bedarf an Plätzen in Kinderkrippen und Kindertagesstätten, in Schulen und weiterführenden
Bildungseinrichtungen, für Leistungen des öffentlichen Dienstes generell. Sie fragen weniger Nahrung, Kleidung, Wohnraum nach,
was in der Konsequenz zur Auskämmung all jener Berufe führt, die diese |114| Angebote offerieren, produzieren. Der dadurch bedingte Einkommensschwund pflanzt sich gleich einer Kettenreaktion durch die
Gesellschaft fort, hält eine harte Auslese unter den noch Beschäftigten.
Nun leben wir nicht in einem geschlossenen Handelsstaat, sondern in einer Gesellschaft mit global verflochtener Wirtschaft.
Die sucht und findet Absatz auf auswärtigen Märkten, in großem Umfang, wodurch sich das Motiv zur Produktion auch dann erneuert,
wenn die einheimischen Konsumkapazitäten an Grenzen stoßen. Das nährt den Arbeitshunger, strapaziert das Arbeitsangebot. Eine
vorübergehende Festigung des Lohnarbeitsverhältnisses für qualifizierte Arbeitskräfte, namentlich ältere, wird für die exportorientierten
Branchen zur realen Perspektive, sofern gut ausgebildete jüngere nicht in erforderlicher Anzahl nachrücken. Nur, wie lange
wird das Revival der guten Arbeit dauern, wenn auch dem übernächsten Reproduktionszyklus der kompetente Nachwuchs fehlt? Selbst
eine völlige Aufhebung der Renten- und Pensionsgrenze böte langfristig keine Lösung. Wenn die aus der Arbeit ausscheidenden
Menschen nicht ersetzt werden können, auch durch modernste Technik nicht, hört das Produzieren entweder auf oder verlagert
sich an andere Orte.
Ferner: Weniger Nachwuchs bedeutet gesellschaftliche Alterung sowie einschneidende Veränderungen im individuellen Alterungsprozeß.
Die Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung, eine der bemerkenswertesten Errungenschaften des industriellen Fortschritts,
besitzt Kehr- und Schattenseiten. Wer heute aus dem Erwerbsleben ausscheidet, blickt zumeist auf eine kontinuierliche Erwerbsbiographie
zurück und dank der dadurch erworbenen Renten- bzw. Pensionsansprüche auf eine von materiellen Sorgen freie Zukunft hin. Dagegen
verlassen die Senioren von morgen eine Arbeitswelt, die das Normalarbeitsverhältnis angreift, perforiert, zerstückelt und
die beruhigende Kumulation von »Altersanteilsscheinen« am gesellschaftlichen Reichtum untergräbt. Sie treten mit erheblich
geschmälerten gesetzlichen |115| Bezügen in den Ruhestand ein als vergleichbare Alterskohorten zuvor und müssen als aktive Erwerbspersonen zeitig private Vorsorge
treffen, um die Verluste partiell auszugleichen. Sie sparen eifrig für ihr Alter und ziehen daraus, in der Regel und am Status
quo gemessen, doch nur eine magere Dividende. Das wirkt sich nachteilig auf ihre Konsumtionskraft als Beschäftigte UND als
Ruheständler aus, stutzt die Nachfrage, die Binnenkonjunktur und ergo die künftige Beschäftigung. Auf allen Pfaden gelangen
wir zum Ausgangspunkt zurück, zur voreiligen Hoffnung auf
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