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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Absichten zu verwirklichen, der Gesellschaft etwas zurückzugeben,
     ehrenamtliche Arbeit, Unterstützung der Armen, Weitergabe unseres Wissens und unserer Fähigkeiten, werden wir eines Tages
     vielleicht selbst zu Hilfsempfängern, und Gott schütze uns vor Krankheit. Denn private Krankenversicherung ist für Arbeitslose
     unerschwinglich teuer. Waren die Erwartungen, die wir an unser Leben hatten, etwa unrealistisch?«
    5. Die Frau, sie sagt es selbst, steht nicht allein. Viele Gutsituierte, die sich das nie hätten träumen lassen, sind in den |187| neunzigern gestrandet. Ein Ökonom kommt zu Wort, der fünfzehn Jahre für die Weltbank arbeitete. Von einem Tag auf den anderen
     gefeuert, bekennt er sich als »ratlos« und »verwirrt«. Ein Doktor der Chemie schildert seinen Leidensweg, der ihn von Teilzeitjob
     zu Teilzeitjob durch halb Amerika führte. Mit jedem Stellenwechsel verringerte sich sein Einkommen. Seit einem Jahr dennoch
     arbeitslos, träumt er nur mehr einen Traum – den von einer »festen Stelle«. Da ruft ein Brigadegeneral den Zivilisten die
     Opfer der Berufssoldaten ins Bewußtsein. »Ich fühle mit all denen im zivilen Leben, die Entlassungen hinnehmen mußten. Aber
     die ›Friedensdividende‹, die viele Armeeangehörige jetzt zahlen müssen, nachdem sie unserem Land treu gedient haben, ist eine
     besonders bittere Pille.«
    Andere, die ihre Arbeit einstweilen behielten, berichten von ihrer Angst. »Personalabbau«, schreibt ein Manager, »ist eine
     Katastrophe für jene, die ihren Job verlieren, und ich möchte mich nicht vermessen, meine eigenen Sorgen damit zu vergleichen.
     Aber es ist auch eine extreme Belastung für uns, die wir das Glück hatten, unsere Arbeit zu behalten. Wir alle leben in der
     beständigen Furcht, die nächsten zu sein. Und wir sind die nächsten!« Ein Mitarbeiter eines großen Architekturbüros gibt näheren
     Einblick in die rabiaten Überlebenskämpfe der einst so guten Gesellschaft: »Die Leute kämpfen verzweifelt darum, ihre Jobs
     zu behalten, besonders die mit Kindern auf dem College. Miese Intrigen und erbitterte Machtkämpfe sind an der Tagesordnung.
     Ich habe beobachtet, wie sich nette Leute in wilde Tiere verwandelten, die mit Krallen um ihr Überleben kämpfen. Manche verbringen
     ganze Stunden damit, Mitteilungen zu verfassen, in denen sie ihr bloßes Dasein rechtfertigen. Das alles ist so erbärmlich,
     so bizarr.« 187
    6. Manche dieser Stellungnahmen wirken larmoyant. Und in den Ohren der wirklich Ausgeschlossenen klingt das Klagelied der
     feinen Leute verlogen. »Wir Schwarzen«, schreibt einer von ihnen, »wissen, was Unsicherheit ist, seit wir der |188| Sklaverei entkamen. Heutzutage hat die Arbeitslosigkeit unsere Gemeinschaft in einen wahren Nihilismus gestürzt. Wie ironisch,
     daß nun, wo dem weißen Mittelklassen-Amerika widerfährt, was wir seit je gewohnt sind, sofort ein neuer Ausdruck zur Hand
     ist – ›downsizing‹.« 188 Das mag man in der Tat ironisch nennen. Denn indem man einem geläufigen Tatbestand einen anderen Namen gibt, setzt man die
     alte Spaltung ausgerechnet in dem Augenblick fort, wo ihr objektiver Grund entfällt. Die »Arbeitslosigkeit« des Schwarzen
     unterscheidet sich vom
Downsizing
des Weißen um keinen Deut. Wenn jener seine Erfahrung in die handelsüblichen Worte »Ich wurde gefeuert« faßt, meint er exakt
     dasselbe, was dieser mit der Modeformel »Dann schrumpfte man mich klein« zum Ausdruck bringt.
    Mit seinem
Newspeak
wehrt sich der weiße Mittelstand ebenso ohnmächtig wie arrogant gegen eine Gemeinsamkeit, die er als bedrohlich, vor allem
     aber als entwürdigend erlebt. Noch im Untergang tröstet er sich mit dem Gedanken an zweierlei Unglück, zwei Sorten von überflüssigen
     Menschen. Das Unglück der anderen gilt als normal, das eigene Unglück ist wider die Natur, jenes ist Schicksal (wenn nicht
     Verfehlung), dieses ist Unrecht. Es ist die Stärke des Kapitalismus, daß er noch im homogenen Raum des Scheiterns Begehrlichkeiten
     und Sehnsüchte produziert, die Millionen von Menschen daran hindern, ihm als dem eigentlichen Urheber ihres Scheiterns auf
     die Spur zu kommen.
    Derlei Selbsttäuschungen mögen dem System eine fassadenhafte Legitimation bescheren. Aber Gesellschaften, die ihre eigenen
     Trägerschichten opfern, stehen im Krisenfalle schutzlos da. Dafür lieferte der Staatssozialismus kürzlich ein eindrucksvolles
     Beispiel. Nicht, wie er mit seinen Widersachern verfuhr,

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