Buerger, ohne Arbeit
jüngsten Entwicklung verstehen
zu können. Da äußert sich eine Mary Berne aus New Jersey mit einer für ihresgleichen geradezu verstörenden Offenheit, die
das ganze Ausmaß der erfahrenen Kränkung widerspiegelt und zugleich eine Art Kollektivporträt der neuen Überflüssigen zeichnet: 186
»Wer sind wir? Wir sind die Generation der Endvierziger und Anfangfünfziger. Wir sind die, die ihren Job verloren haben. Sie
können uns erkennen, wenn Sie uns auf der Straße beobachten. Die Männer unter uns sind die mit den kurzen, adretten, leicht
angegrauten Haaren, angetan mit gediegenen, jetzt etwas ausgebeulten Anzügen von
Brooks Brother
, in der Hand Aktenkoffer aus feinem Leder. Die Frauen tragen konservativ geschnittene ›Erfolgskostüme‹ und geschäftsmäßige
Frisuren. Wir sind die, denen Sie tagsüber auf |185| den Bürgersteigen begegnen, die mit einem erwartungsfrohem Gesichtsausdruck an Ihnen vorbeieilen, auf dem Weg zu einem Berufsberatungszentrum
oder (wie die Glücklichen unter uns) zu noch einem Bewerbungsgespräch. Sie treffen uns nach Feierabend, zu Gruppen versammelt,
in den Cocktailbars der Innenstädte, Tips austauschend oder Kriegsgeschichten, einander tröstend während eines schnellen Biers
oder eines Glas Weins auf dem Heimweg von einem neuen frustrierenden Tag voller Suche nach Arbeit, die es nicht gibt. Es macht
uns fast verrückt vor Wut, aber wir müssen es schlucken. Wir haben hart gekämpft, seit wir ins Berufsleben eintraten. Wir
fingen an, als wir die Zwanzig eben überschritten hatten, und mit Anstrengung, Erfahrung und etwas Glück arbeiteten wir uns
bis ins höhere Management vor. Und nun teilt man uns mit, daß unsere Gesichter nicht mehr in die neue Landschaft passen. Nun
rangiert man uns aus. Nun setzt man die Generation der Anfang Dreißigjährigen an unsere Stelle, und all unsere Hingabe und
unsere Erfahrung zählen nichts mehr. Wir sind die erste Generation, die damit fertig werden muß, die nicht weiß, wohin der
Weg sie führt. Welche Aussichten gibt es für uns? Wie können wir überleben? Um persönlich zu sprechen. Mein Mann und ich sind
nur zwei in einem größeren Kreis von Freunden und Bekannten, die allesamt diese furchterregende und niederschmetternde Zeit
durchgemacht haben. Mein Mann arbeitete bis vor etwa einem Jahr als leitender Angestellter bei einer internationalen Organisation.
Ich selbst war mehr als zwanzig Jahre Chefsekretärin in einem weltweit operierenden Unternehmen. Dann wurde ich entlassen,
und mein Mann wurde ›gesundgeschrumpft‹. Nach einer längeren Periode vergeblichen Ausschauhaltens nach anderen Arbeitsmöglichkeiten
entschloß sich mein Mann, ein eigenes Unternehmen zu gründen – eine Stellenvermittlungsfirma. Wer werden ihre Kunden sein?
Nun, Leute desselben Alters und Herkommens, Menschen, die plötzlich entlassen oder Opfer von Sparmaßnahmen wurden. Von den
vier Frauen, mit |186| denen ich früher zusammenarbeitete, hat nur eine ihre Arbeit behalten. Der Arbeitsmarkt für geschulte Fachsekretärinnen ist
düster, und wir schlagen uns durch oder versuchen es wenigstens, indem wir als Aushilfskräfte arbeiten oder, wie in meinem
Fall, als Assistentinnen unserer Männer. Mein Schwager mußte mit 63 Jahren eine lange und erfolgreiche Ingenieurkarriere aufgeben,
so daß er nicht imstande sein wird, seine volle Rente zu beziehen. Meine Schwester, eine versierte Verwaltungskraft mit über
25 Jahren Berufserfahrung kann wegen ihres Alters und – verrückterweise – ihrer Erfahrung keine neue Stelle finden. Wir alle
kennen die Ausrede – ›überqualifiziert‹.
Die achtziger Jahre meinten es gut mit uns. Wir hatten Häuser, und wir arbeiteten hart, um sie abzubezahlen. Das sind die
Häuser, in denen wir Familien gründeten und die wir als Investition in unser Alter ansahen. Aber solche ›goldenen Tage‹, die
diejenigen genossen, die vor uns kamen, werden uns nicht beschieden sein. Jene von uns, die noch Familie haben, müssen sich
mit dem Gedanken vertraut machen umzusiedeln, die Kinder aus den Schulen zu reißen, Freunde und Verwandte zurückzulassen.
Männer, Frauen, Kinder – sie alle müssen große Opfer bringen. Unsere Hoffnungen und Pläne wurden zerstört, und wir sind machtlos.
Die Ziele, die wir uns setzten – harte Arbeit, etwas erreichen, Geld verdienen, mit Würde ins Alter gehen und der nächsten
Generation Platz machen –, sind entwertet. Statt unsere
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