Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
Vom Netzwerk:
jüngsten Entwicklung verstehen
     zu können. Da äußert sich eine Mary Berne aus New Jersey mit einer für ihresgleichen geradezu verstörenden Offenheit, die
     das ganze Ausmaß der erfahrenen Kränkung widerspiegelt und zugleich eine Art Kollektivporträt der neuen Überflüssigen zeichnet: 186
    »Wer sind wir? Wir sind die Generation der Endvierziger und Anfangfünfziger. Wir sind die, die ihren Job verloren haben. Sie
     können uns erkennen, wenn Sie uns auf der Straße beobachten. Die Männer unter uns sind die mit den kurzen, adretten, leicht
     angegrauten Haaren, angetan mit gediegenen, jetzt etwas ausgebeulten Anzügen von
Brooks Brother
, in der Hand Aktenkoffer aus feinem Leder. Die Frauen tragen konservativ geschnittene ›Erfolgskostüme‹ und geschäftsmäßige
     Frisuren. Wir sind die, denen Sie tagsüber auf |185| den Bürgersteigen begegnen, die mit einem erwartungsfrohem Gesichtsausdruck an Ihnen vorbeieilen, auf dem Weg zu einem Berufsberatungszentrum
     oder (wie die Glücklichen unter uns) zu noch einem Bewerbungsgespräch. Sie treffen uns nach Feierabend, zu Gruppen versammelt,
     in den Cocktailbars der Innenstädte, Tips austauschend oder Kriegsgeschichten, einander tröstend während eines schnellen Biers
     oder eines Glas Weins auf dem Heimweg von einem neuen frustrierenden Tag voller Suche nach Arbeit, die es nicht gibt. Es macht
     uns fast verrückt vor Wut, aber wir müssen es schlucken. Wir haben hart gekämpft, seit wir ins Berufsleben eintraten. Wir
     fingen an, als wir die Zwanzig eben überschritten hatten, und mit Anstrengung, Erfahrung und etwas Glück arbeiteten wir uns
     bis ins höhere Management vor. Und nun teilt man uns mit, daß unsere Gesichter nicht mehr in die neue Landschaft passen. Nun
     rangiert man uns aus. Nun setzt man die Generation der Anfang Dreißigjährigen an unsere Stelle, und all unsere Hingabe und
     unsere Erfahrung zählen nichts mehr. Wir sind die erste Generation, die damit fertig werden muß, die nicht weiß, wohin der
     Weg sie führt. Welche Aussichten gibt es für uns? Wie können wir überleben? Um persönlich zu sprechen. Mein Mann und ich sind
     nur zwei in einem größeren Kreis von Freunden und Bekannten, die allesamt diese furchterregende und niederschmetternde Zeit
     durchgemacht haben. Mein Mann arbeitete bis vor etwa einem Jahr als leitender Angestellter bei einer internationalen Organisation.
     Ich selbst war mehr als zwanzig Jahre Chefsekretärin in einem weltweit operierenden Unternehmen. Dann wurde ich entlassen,
     und mein Mann wurde ›gesundgeschrumpft‹. Nach einer längeren Periode vergeblichen Ausschauhaltens nach anderen Arbeitsmöglichkeiten
     entschloß sich mein Mann, ein eigenes Unternehmen zu gründen – eine Stellenvermittlungsfirma. Wer werden ihre Kunden sein?
     Nun, Leute desselben Alters und Herkommens, Menschen, die plötzlich entlassen oder Opfer von Sparmaßnahmen wurden. Von den
     vier Frauen, mit |186| denen ich früher zusammenarbeitete, hat nur eine ihre Arbeit behalten. Der Arbeitsmarkt für geschulte Fachsekretärinnen ist
     düster, und wir schlagen uns durch oder versuchen es wenigstens, indem wir als Aushilfskräfte arbeiten oder, wie in meinem
     Fall, als Assistentinnen unserer Männer. Mein Schwager mußte mit 63 Jahren eine lange und erfolgreiche Ingenieurkarriere aufgeben,
     so daß er nicht imstande sein wird, seine volle Rente zu beziehen. Meine Schwester, eine versierte Verwaltungskraft mit über
     25 Jahren Berufserfahrung kann wegen ihres Alters und – verrückterweise – ihrer Erfahrung keine neue Stelle finden. Wir alle
     kennen die Ausrede – ›überqualifiziert‹.
    Die achtziger Jahre meinten es gut mit uns. Wir hatten Häuser, und wir arbeiteten hart, um sie abzubezahlen. Das sind die
     Häuser, in denen wir Familien gründeten und die wir als Investition in unser Alter ansahen. Aber solche ›goldenen Tage‹, die
     diejenigen genossen, die vor uns kamen, werden uns nicht beschieden sein. Jene von uns, die noch Familie haben, müssen sich
     mit dem Gedanken vertraut machen umzusiedeln, die Kinder aus den Schulen zu reißen, Freunde und Verwandte zurückzulassen.
     Männer, Frauen, Kinder – sie alle müssen große Opfer bringen. Unsere Hoffnungen und Pläne wurden zerstört, und wir sind machtlos.
     Die Ziele, die wir uns setzten – harte Arbeit, etwas erreichen, Geld verdienen, mit Würde ins Alter gehen und der nächsten
     Generation Platz machen –, sind entwertet. Statt unsere

Weitere Kostenlose Bücher