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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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eine früher getroffene Feststellung zu
     erhärten: Für alle reicht es nicht. Castels Medizin ist Teil jener hastigen Soziologie, jener Instant-Wartungstätigkeiten
     am Gegenwartskapitalismus, die er ansonsten überzeugend kritisiert.
    Er liefert selbst die Gegenargumente: Einerseits verschwinden mehr Stellen, besonders »gute«, als neue entstehen, andererseits
     tragen die fortbestehenden Arbeitsverhältnisse längst nicht mehr das Gütesiegel früherer Jahrzehnte. 192 Er stellt die richtigen Fragen (»Worin könnte eine soziale Eingliederung bestehen, die nicht auf eine berufliche Eingliederung
     … hinausläuft?« 193 ) aufgrund triftiger Diagnose (»Zum ersten Mal in der langen Geschichte der sozialen Sicherung wird die Unterscheidung zwischen
     den arbeitsfähigen Bevölkerungsgruppen und denen, die nicht arbeiten können, über den Haufen geworfen.« 194 ), und er peilt präzise den Notstand an, der zum Handeln zwingt: die tiefgreifende Verunsicherung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse
     ALLER sozialen Schichten. Aber er schafft keine konzeptionelle Synthese, und er sagt uns auch, warum er das nicht leistet:
     Arbeit bleibt für ihn das »Hauptfundament der
citizenship
«, Grundlage sozialer Rechte und Pflichten, von Verantwortung und Anerkennung. 195 Er ahnt das Revolutionäre der neuen sozialen Frage, beantwortet sie aber letztlich auf herkömmliche Art, mit der »Neuformulierung
     des alten Prinzips des Rechts auf Arbeit«. 196 Sein finaler Imperativ wirkt ebenso sympathisch wie (angesichts seiner eigenen Analysen) weltfremd: »Darauf hinwirken, daß
     jeder einen Platz im Kontinuum der gesellschaftlich-anerkannten Positionen findet, behält oder wiederfindet, Positionen, die
     auf einer echten Arbeit fußen und Voraussetzung für ein würdiges Dasein und soziale Rechte sind.« 197
    |192| 2. Umverteilung der Arbeit oder Bürgergeld – ist DAS die Frage, die hinter der sozialen Frage unserer Tage steht? Castel scheint
     dieser Ansicht, denn auf den letzten Seiten seiner Untersuchung genzt er seine Lösung schroff von der in diesem Buch vertretenen
     ab: »Die Problematik der Umverteilung von Arbeit wird häufig und meines Erachtens zu Unrecht in einen Topf geworfen mit dem
     Plädoyer für ein Grundeinkommen … Zu Unrecht, weil die Idee einer Einkommensumverteilung ein ganz anderes Gesellschaftsmodell
     impliziert. Sie akzeptiert den Bruch zwischen den Einkommen einerseits und den an die Arbeit geknüpften sozialen Rechten andererseits,
     welche die Problematik der Umverteilung der Arbeit dagegen nicht hinnehmen will.« 198 Ohne die Unterschiede zwischen den beiden Konzeptionen verwischen zu wollen, scheint es doch ganz unangebracht, sie zu einander
     ausschließenden Gegensätzen hochzustilisieren. Sie ergänzen sich, und zwar wie folgt: Arbeitsumverteilung, sei es durch Herabsetzung
     der gesetzlich normierten oder vertraglich vereinbarten Arbeitszeit (Frankreich, deutsche Betriebsmodelle), sei es durch regelmäßigen
     Wechsel zwischen Arbeits-, Bildungs- und Familienzeiten (Skandinavien) macht Sinn auch bei flacher werdendem Stellenpool,
     ist Ausdruck sozialer Gerechtigkeit in Zeiten des Schrumpfens (§ 39.6). Nur trifft sie keine Vorkehr für jene, die dennoch
     ausgeschlossen bleiben oder denen der Eintritt ins »Kontinuum der Positionen« versagt bleibt; hier springt die Grundsicherung
     ein. Nur durch Bündelung läßt sich eine kohärente Politik der Arbeit formulieren, die ihren Gegenpol, die Nichtarbeit, in
     sich einbegreift (§ 10.4–5).
    Das Verbindungsglied der beiden Strategien hat Castel wiederholt benannt; es ist die PREKASIERUNG, die Verwundbarkeit, Verletzlichkeit
     des Daseins in jeglicher Gestalt. Prekär, auf nicht selten verzweifelte Weise, ist das Leben der ökonomisch Überflüssigen
     und sozial Entkoppelten; prekär ist ein Leben, das sich durch Arbeit an den Randzonen des Erwerbssystems eher über Wasser
     hält als wirklich erdet; |193| prekär auf schwerer zu durchschauende Art ist auch das Arbeitsleben der vom Glück und vom Erfolg Verwöhnten – die Ära der
     kumulativen Verdienste, des fraglosen Einsseins von Person und Stelle, ist auch für sie passé.
    3. Von außen, von den Rändern und auch im Zentrum wachsenden Erschütterungen ausgesetzt, Abbrüchen und Erosionen, stößt die
     Erwerbsarbeitsgesellschaft an die Grenze nicht ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit, wohl aber ihrer Integrationskraft. Das
     wirklich Neue an der sozialen Frage der Gegenwart ist

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