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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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besiegelte sein Schicksal, sondern die Art, wie er mit den Gutwilligen
     umsprang. Die größten Enttäuschungen erlebten jene, die sich auf ihn einließen und nur »das Beste« wollten. Als diese sich,
     Mal um Mal zurückgestoßen und verprellt, in Scharen abwandten, waren |189| die Würfel im Prinzip gefallen. Nun genügte irgendein Anlaß, um das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen. Niemand mochte
     noch ernstlich etwas riskieren, um es zu erhalten, weder die breite Mitte der Gesellschaft noch die Funktionseliten, nicht
     einmal Armee und Polizei.
    Der Gegenwartskapitalismus zeigt deutliche Merkmale einer ganz analogen Aushöhlung. Da kommen selbst den Zaghaften kühne Gedanken.
     So wie jenem New Yorker Politologieprofessor, der über eine Zukunft nach dem Kapitalismus philosophiert: »Die Problematik,
     vor der wir heute stehen, erfordert, daß wir die Frage nach einem alternativen ökonomischen System aufwerfen, das allen Arbeit
     gibt und jedermann ein anständiges Leben ermöglicht. Unser Problem ist nicht, wie wir mehr mit immer weniger erzeugen, sondern
     wie wir den Überfluß auf eine gerechte und demokratische Weise verteilen können. Gelingt uns das nicht, dann ertrinken wir
     inmitten des Überflusses. Für eine vermeintlich rationale Spezies ist eine solche Perspektive nicht nur verrückt, sondern
     auch völlig unnötig. Kurzum, wenn der Kapitalismus die Probleme nicht länger lösen kann, vor allem die rapide steigende Arbeitslosigkeit,
     ist es dann nicht Zeit sich zu fragen, ob irgendeine Form des demokratischen Sozialismus bessere Antworten weiß?« 189 – Man sieht: Wenn der Terror ins Zentrum dringt, in die oberen Etagen, verwandelt sich die soziale Frage umgehend in eine
     Systemfrage. Dann fängt man an, sogar mit dem Teufel zu kokettieren; ein Zeichen dafür, daß das grundlos gewordene Ganze reif
     geworden ist, nicht für den Untergang und ebensowenig für die »Revolution«, wohl aber für eine Generalinventur.
    7. Nachdem sie das Schicksal ihrer Unterstellten ereilte und sie selbst entlassen wurden, präsentieren sich Führungskräfte
     der Wirtschaft als die eigentlichen Opfer des
reengineering
, beklagen sie das Ende der Aufstiegsorientierung, den Verlust an Lebenskontrolle, die Vergiftung des beruflichen Lebens.
     Eine sozial verzerrte Sicht auf das ganz alltägliche Leiden an der Gesellschaft, zweifelsohne, und |190| zudem voller Widerstände gegen eine gemeinschaftliche, politische Antwort auf die persönliche Not. Wissenschaftliche Untersuchungen
     benennen die Moralisierung des sozialen Scheiterns als größtes Hindernis für Veränderungen; eine Moralisierung, die in den
     Vereinigten Staaten von Amerika kulturell besonders tief verwurzelt ist. 190
    »Politik ohne Staat«, die zur Lebenshaltung gewordene Parole schreckt am Ende sogar vor der Politik zurück, beschränkt sich
     auf rein individuelle Anpassungsleistungen, auf therapeutische Selbstkorrektur. Dieselbe Erfahrung indes, die den Stolz kränkt
     und zum Rückzug aus der öffentlichen Sphäre führt, birgt die Möglichkeit eines Bündnisses potentiell in sich. Wenn sich die
     Verwundbarkeit des Daseins bis zu den Oberschichten durchspricht, ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu der Erkenntnis,
     daß es sich dabei um einen von Menschen gemachten Prozeß handelt, daß es Verantwortliche für die Misere gibt. »Washington
     did it!« 191 – mit solchen Vereinfachungen hat noch jedes Aufbegehren angefangen.
    § 23 Sackgassen, Auswege
    1. Castel riskiert einen langen Blick in den Abgrund, der sich vor der Lohnarbeitsgesellschaft in ihrer heutigen Verfassung
     auftut – und macht dann gleichsam auf dem Absatz kehrt. Als sei er im Verlauf seiner Forschungen mit dem Objekt seiner Wißbegierde
     eins geworden und könne sich nun nicht mehr von ihm trennen, investiert er seinen ganzen Scharfsinn in Rettungsversuche des
     professionellen Erwerbs. »Gute« Stellen für alle im System der gesellschaftlichen Arbeits- und Funktionsteilung durch eine
     staatlich initiierte Umverteilung der knappen Ressource Arbeit, durch Verkürzung der täglichen, wöchentlichen, monatlichen,
     jährlichen oder Lebensarbeitszeit, das ist sein Vorschlag, sein Programm. Eine »gute« Stelle – ist das nicht ein Ort der |191| Betätigung produktiver Fähigkeiten; ein Stützpunkt stabiler Sozialbeziehungen? Ein Portal zur Teilhabe am geistig-kulturellen
     Leben? Quelle und Garant auskömmlichen Einkommens? Die kurze Aufzählung genügt, um

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