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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Regulierungsgesetzen, Schutzzöllen sowie umfassender staatlicher Wirtschaftskontrolle richtete er Handels- |207| und Kolonialgesellschaften ein, setzte den Bau von Manufakturen mit Modellcharakter ins Werk, förderte und vereinheitlichte
     den inneren Markt, der nun erstmals ein wirklich nationaler wurde, und stärkte die Position seines Landes im internationalen
     Handel.
    Seit 1669 zusätzlich Minister für Marineangelegenheiten, verfügte er den Ausbau des Kanal- und Straßennetzes, die Befestigung
     von Häfen sowie die Ausstattung der Seestreitkräfte mit neuem Gerät. In seiner Eigenschaft als Intendant der schönen Künste
     gründete er die
Académie des sciences
, heute Teil des
Institut de France
. Als fanatischer Anhänger der Zentralisierung schränkte er die Befugnisse lokaler Autoritäten, ständische, speziell städtische
     Freiheiten mehr und mehr ein, arbeitete er an jenem allgegenwärtigen Staat, den anzutasten die Französische Revolution aller
     anders lautenden Absichten und Proklamationen zum Trotz weder den Mut noch den Willen besaß. Als Tocqueville den Untergang
     der französischen Gesellschaft im Ancien régime beschrieb, schwebte ihm Colbert als einer jener starken Männer vor, die er
     für diesen verheerenden Kahlschlag, der jede spätere Wiederaufforstung ausschloß, verantwortlich machte. 210 Colbert selbst wäre gern noch erfolgreicher gewesen, allein die zahlreichen Kriege Ludwigs, dessen verschwenderischer Lebensstil,
     der des Hofstaats, verzehrten seine Anstrengungen, erschöpften die Ressourcen des ganzen Landes.
    3. Rund einhundert Jahre später, 1774, trat der bedeutende Physiokrat Anne Robert Jacques Turgot unter Ludwig XVI. sein Amt
     als Generalkontrolleur der Finanzen an. Der Absolutismus hatte seinen Zenit überschritten; ihm die Macht zu erhalten, nicht
     sie auszubauen, trat der Neue an. Die Krone war notleidend, an Geld ebenso wie an allgemeiner Zustimmung oder auch nur gewohnheitsmäßiger
     Duldung ihrer Vorrechte. Dementsprechend befand sich Turgot in einer weit günstigeren Position als seinerzeit Colbert, der
     den klaren und ungebrochenen Willen seines Monarchen nur mit Tatkraft zu vollstrecken hatte. Er machte von dem erweiterten |208| Spielraum unerschrocken Gebrauch und unterbreitete dem Königlichen Rat 1776 seine berühmten sechs Edikte. Sie forderten die
     Liberalisierung der Wirtschaft, Beseitigung der Handelsmonopole, Abschaffung staatlicher Frondienste, ein strenges Ausgabenregime
     und nicht zuletzt die Besteuerung des Adels. Ein Reformprogramm, das beides beinhaltete, die Rationalisierung der Herrschaft
     mittels sofortiger und einschneidender Haushaltssanierung (»Sparen«) UND den Anspruch der Gesellschaft, vornehmlich des bürgerlichen
     Standes, auf wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und sozialen Lastenausgleich durch die Heranziehung der Aristokratie zum öffentlichen
     Aufkommen; fiskalische »Vernunft« als Hebel des sozialen Fortschritts. Turgot scheiterte am Widerstand der Privilegierten
     und an der Feigheit des Königs, ihn zu brechen; er wurde umgehend zum Rücktritt gezwungen.
    Sein Nachfolger, Jacques Necker, setzte den Kampf gegen die Staatsverschuldung sowie für ein gerechtes Steuersystem unverzüglich
     fort. Ganz Sparkommissar, präsentierte er dem Herrscher eine eingehende Analyse der Verschuldung der Zentralregierung, prangerte
     er, damit nicht zufrieden, die kostspieligen Extravaganzen Marie Antoinettes und ihres Klüngels an – und verlor sein Amt.
     1788 in seine Funktion als Finanzminister zurückbeordert, faßte er die Sache noch grundsätzlicher an und drängte seinen Dienstherrn
     zur Einberufung der Generalstände, die seit 1614 nicht mehr zusammengetreten waren. Als sich die Versammlung auf eine Radikalkur
     ganz im Sinn ihres heimlichen Dirigenten verständigte, wurde er erneut entlassen; die Antwort kam in Form des Sturms auf die
     Bastille.
    4. Das ist, in Kürze, die glücklose Vorgeschichte des sozialen Reformismus in Frankreich. Von seinen allerletzten, schon halb
     verzweifelten Regungen abgesehen, verstand er sich noch nicht als Revolutionsprävention. Er sah sich einem näherrückenden
     Grollen aus der Ferne, wachsender Unzufriedenheit, ersten Protesten konfrontiert; Unruhen, selbst Revolten schienen möglich,
     ein vollständiger Systembruch |209| mit nachfolgender Enthauptung des göttlichen Monarchen dagegen kaum. Die Aufgabe dieser Reformer bestand daher in erster Linie
     in der Bewältigung der Krise, in

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