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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Einzeltatsachen durch Einzeltatsachen (›Verbessern‹). Progressiver Reformismus hat die Tendenz,
     um einer unliebsamen Tatsache willen die ganze Welt, die um diese Tatsache herumgebaut ist, in der eine solche Tatsache möglich
     ist, umzugestalten.« 208
    Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. In der Tat erweitert der moderne Konservatismus die schlichte Alternative: Revolution
     oder Festhalten am Bestehenden um eine dritte Option, um die der Revolutionsverhütung. Die Gesellschaft »reformieren« ist
     ihm ursprünglich gleichbedeutend |205| mit der Aufgabe, die Frucht des Ungehorsams abzutreiben, bevor sie reif ist. Dafür opfert er notfalls sogar sein gutes Gewissen,
     setzt er das ungeliebte Neue an die Stelle der verbrauchten, überlebten Alten. Durch seinen Mut zur Treulosigkeit drängt er
     den allzu zaghaften Traditionalismus an den Rand, wo dieser hinfort als politische Folklore überwintert, und häutet sich zum
     Hauptwiderpart der Fanatiker des Fortschritts. Nur, was für die Geburt des politischen Konservatismus zutrifft, für seinen
     originären Impetus, deckt die Spanne seiner weiteren Entwicklung auch nicht annähernd ab. Schon bald wird ein Konservatismus
     die Bühne betreten, der seinem Urbild nur mehr in der Absicht, Revolutionen zu verhindern, gleicht, in seinen Methoden vom
     »progressiven Reformismus« jedoch kaum zu unterscheiden ist. Von da an wird es zwei konservative Antworten auf die revolutionäre
     Bedrohung geben: partikular, von Fall zu Fall sich hangelnd die eine, die andere kompakt und offensiv, ordnungstrunken und
     revolutionär zugleich.
    § 25 Zur Vorgeschichte des sozialen Reformismus
    1. » Reform
(lat.-fr.)
…: Umgestaltung, Neuordnung, Verbesserung des Bestehenden.« – » Reformer
(lat.-fr.-engl.)
…: Umgestalter, Verbesserer, Erneuerer.« So steht es im fünften Band des Duden, Fremdwörterbuch, 6. Auflage, 1997. »Reform«,
     in unserem Verständnis, assoziiert sich mit »sozialem Fortschritt«. Etymologisch werden wir anders belehrt, zurückhaltender: » Reform 18. Jh. v. frz. réforme Umgestaltung, zu lat.
re
zurück,
forma
Gestalt; ~ieren 15. Jh.; ~ation kirchlich 16. Jh.« 209 Hier liegt der Akzent weder auf dem Neuen noch auf dem Besseren, sondern auf Umgestaltung im Sinne der Wiederherstellung
     sei es einer ursprünglichen Gestalt, sei es, wie im Fall der Reformation, des ursprünglich gemeinten religiösen Sinns sowie
     der ihm gemäßen Glaubenspraxis.
    |206| Reformen in diesem neutraleren Kontext korrigieren Verdunkelungen, Verzerrungen, Entstellungen irgendeines »Ursprungs«, von
     dem die Menschen sich im Laufe der Geschichte zu ihrem Nachteil lösten. Sie rufen in die Erinnerung und ins Leben zurück,
     was einmal klar und deutlich vor aller Augen stand, Autorität genoß, eine Gemeinschaft begründete, nach innen und außen zusammenhielt.
     Ihrer Natur nach reaktiv, heben Reformen die geschichtliche Entfremdung wieder auf, die durch Nachlässigkeit, blinden Eifer
     oder einfach durch den steten Gang der Dinge hervorgerufen wurde. Die Verträglichkeit DIESER Deutung mit dem Selbstverständnis
     des Konservatismus ist nur allzu offenkundig. Sie erlaubt ihm, sich als Anwalt der Reform in ihrer »eigentlichen« Bedeutung
     aufzuspielen, darauf hinzuweisen, daß der radikale Reformismus denselben Abfall vom Ursprung verkörpert, den die »wahre Reform«
     kurieren sollte, vom Furor lebt, die Menschen zu beglücken, notfalls auch gegen ihren Willen. Den Reiz dieser Dublette für
     sich arbeiten zu lassen, seine eigene Untreue, SEIN Bündnis mit dem »Fortschritt« dahinter zu verbergen, aus der kollektiven
     Erinnerung zu löschen, war der Konservatismus stets geschickt genug.
    2. Das uns mehrheitlich noch immer geläufige, den sozialen Progreß mitmeinende Reformverständnis rührt, die Etymologie bestätigt
     es, vom achtzehnten Jahrhundert her. Um diesen genetischen Kontext in seiner fortwirkenden Bedeutung zu erfassen, muß man
     sogar noch etwas weiter zurückgehen, bis ins letzte Drittel des siebzehnten Jahrhunderts, nach Frankreich. Damals hob jener
     Reformzyklus an, der das absolutistische Regime bis zu seiner Auflösung durch die Französische Revolution begleiten sollte.
     1665 wurde Jean-Baptiste Colbert von Ludwig XIV. zum Oberintendanten der Finanzen des Königreichs bestellt. Auf dem Höhepunkt
     der Macht des »Sonnenkönigs« rationalisierte er dessen Herrschaft nach den Prinzipien des reifen Merkantilismus. Mit Hilfe
     von

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