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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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weltlicher Herrn wie dieser, nur eben in der deutschen Provinz und einige Jahrzehnte früher, Historiker, Schriftsteller aus
     Passion, gleich seinem britischen Kollegen, waren ihm philosophische Ambitionen durchaus fremd. Als Angehöriger des ständischen
     Bürgertums, der seine untergeordnete Stellung in der sozialen Hierarchie klaglos akzeptierte, LEBTE er die Tradition und sprach
     sie unbekümmert aus. Sich den Dritten Stand ohne Anlehnung an den Adel, an Ritterschaft und Klerus vorzustellen, fehlte ihm
     die Phantasie. Er nahm die überlieferte Ordnung, wie sie war, und verspürte weder das Bedürfnis, sie zu rechtfertigen, noch
     war er von Wehmut erfüllt, von dem romantischen Verlangen nach vergangener, schöner Eintracht. Wenn er in vielen seiner Schriften
     gegen Tendenzen in Staat und Verwaltung polemisierte, das bürgerliche Leben bis in seine Einzelheiten |203| zu regulieren, dann deshalb, weil er das für eine verderbliche Methode hielt, für eine modische Unart und nicht, weil er die
     Welt mit einer neuen Theorie beglücken wollte. Er glaubte unerschütterlich an die Lebenskraft ererbter Sitten, an Ehre, Pflichtgefühl,
     gestufte Rechte, soziale Harmonie. Was ihn störte, waren Intellektuelle, die sich mit ihren Projekten in die Staatsgeschäfte
     mischten, und Beamte, die sie gewähren ließen, gar auf sie hörten: »Allein allgemeine Polizeiordnungen, allgemeine Forstordnungen,
     allgemeine Gesetze über Handel und Wandel, über Acker- und Wiesenbau und über andre Teile der Staats- und Landwirtschaft,
     wenn sie nicht bloß theoretische Lehrbücher, sondern wahre in jedem Falle zu befolgende Regeln abgeben, wenn sie brauchbar
     und zureichend sein, wenn sie dem Generaldepartement zur Richtschnur dienen sollen, um die Vorschläge, Berichte und Ausrichtungen
     der Lokalbeamten darnach zu prüfen, zu beurteilen und zu verwerfen, sind mehrenteils stolze Eingriffe in die menschliche Vernunft,
     Zerstörung des Privateigentums und Verletzung der Freiheit. Die philosophischen Theorien untergraben alle ursprünglichen Kontrakte,
     alle Privilegien und Freiheiten, alle Bedingungen und alle Verjährungen, indem sie die Pflichten der Regenten und Untertanen
     und überhaupt alle gesellschaftlichen Rechte aus einem einzigen Grundsatze ableiten, und um sich Bahn zu machen, jede hergebrachte,
     verglichene und verjährte Einschränkung als so viel Hindernisse betrachten, die sich mit dem Fuße oder mit einem systematischen
     Schlusse aus dem Wege stoßen können.« 207
    Kampf dem Rationalismus und der Bürokratie – seine Kinderstube verleugnete der Konservative nie; unverzügliche Rückkehr zu
     den beengenden Verkehrsverhältnissen der Ständegesellschaft – das war zu knapp bemessen für das neue Haus, in dem er wohnen
     mußte.
    5. Emphatisches Erleben des Konkreten, des Einzelfalls, Verteidigung des »individuellen Gesetzes«, Ablehnung des unbezüglich
     Allgemeinen, rein Abstrakten; Vorrang des induktiven |204| Denkens gegenüber dem Schließen aus leblosen Axiomen; sich vom Gegebenen leiten lassen, statt vom überhaupt nur Vorstellbaren;
     Durchdenken der Gegenwart von der Vergangenheit her, in deren Auftrag sie steht, deren Testament sie gegen die Anfechtungen
     und Infragestellungen der reinen Vernunft vollstrecken muß – in all dem wiederholt der konservative Denkstil den traditionalistischen,
     ahmt er ihn nach. Nur kann der Konservative nicht länger, wie er möchte, auf die vertraute Weise denken und empfinden. Durch
     die Zeitläufte aus dem Reich der Unschuld vertrieben, von seinen Wurzeln abgeschnitten, erfährt er die Geschichte als dynamisches
     Geschehen, ringt er sich, anfänglich widerwillig, zu der Einsicht durch, daß Gesellschaften sich wandeln, daß dieser Wandlungsprozeß,
     soll er nicht revolutionär entgleisen, der Gestaltung bedarf, reformerischer Eingriffe in das empfindliche Geflecht menschlichen
     Handelns. Ein offensives Bekenntnis zur Reform geht damit zunächst nicht einher. Reformen bleiben Notbehelfe, Reparaturmaßnahmen
     im Dienst der Überlieferung, dazu bestimmt, sie in einer zunehmend ungastlichen Welt aufs neue zu befestigen, sie ein zweites
     Mal das Laufen zu lehren.
    Die konservative Reformidee profiliert sich historisch ganz bewußt als Alternative zum »rücksichtslosen« Reformstreben der
     Revolutionäre. »Konservativer Reformismus«, schrieb Karl Mannheim in seiner klassischen Studie über dieses Phänomen, »besteht
     im Austausch (Ersetzung) der

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