Buerger, ohne Arbeit
der Rettung der bestehenden Ordnung in modifizierter Form, auf erweiterter sozialer Basis.
Dabei verzahnten sich, wie gesehen, technisch-organisatorische und sozial-emanzipatorische Aspekte, je weiter der Prozeß voranschritt,
desto enger. Notorische Finanzierungsnöte des absolutistischen Staates öffneten die Tür für weiter ausgreifende Schritte.
Die bloße Umgestaltung gewann soziale Wertakzente, orientierte sich an der Verbesserung der Zustände – das ist der historische
Zusammenhang von »Sparen« und »Erneuern«.
Und der Unterschied, praktisch wie begrifflich. Sparerlasse, Haushaltssanierungen allein repräsentieren noch keine vollwertigen
Reformen. Dazu erheben sie sich erst im Hinübergleiten in Forderungen, die der Mehrheit öffentliches Gehör, verbriefte Rechte,
politische Freiheiten erobern wollen. Ob soziale Gerechtigkeit für diese Reformer bereits einen Wert an sich bedeutete, den
zu realisieren unbedingt erstrebenswert war, auch unabhängig von der momentanen Machtverlegenheit, ist zu bezweifeln. Sie
zielten weniger auf eine demokratische Gesellschaft als vielmehr auf einen aufgeklärten, wohlberatenen, gleichwohl starken
Staat, auf einen sozialen Kompromiß von Obrigkeit und Untertanen. Das Unternehmen, dem sie sich verpflichtet fühlten, schlug
fehl, was blieb und Folgen zeitigt bis in unsere Tage, war die soziale Aufladung des Reformbegriffs. Als nächstes kam der
östliche Nachbar Frankreichs an die Reihe.
5. »Das Zeitalter der napoleonischen Herrschaft in Deutschland ist zugleich das Zeitalter der großen Reformen, in Preußen
wie in den Rheinbundesstaaten. Damals sind die Grundlagen des modernen Staates und der modernen Gesellschaft in Deutschland
geschaffen worden …« 211 Was die preußischen Reformen mit den französischen verband, war ihr reaktiver Charakter, was sie von ihnen unterschied, war
der inzwischen eingetretene Bruch, die große Revolution der |210| Franzosen. Der Staat, den zu »modernisieren« die preußischen Reformer beauftragt und entschlossen waren, befand sich gleich
dreifach in der Krise. Am selben Grundübel laborierend wie das Ancien régime, an seiner allzu schmalen gesellschaftlichen
Basis, sah er sich durch den revolutionären Umschwung seiner quasi-natürlichen Legitimation beraubt, desto mehr, als er nach
dem militärischen Desaster von 1806 politisch um Luft rang. Schwere Zeiten für die Krone, gute Zeiten für mutige Erneuerer.
Der Reichsfreiherr vom und zum Stein war ein solcher. Als er 1807 von Friedrich Wilhelm III. erneut zum leitenden Minister
berufen wurde, blickte der studierte Rechtsgelehrte bereits auf eine lange Karriere im preußischen Staatsdienst zurück. Drei
Jahre zuvor hatte er sich mit seinem Programm zur Reform des Regierungssystems nicht durchsetzen können, jetzt, auf dem Höhepunkt
der Krise, dachte er an mehr als nur an administrative Auffrischungen des abgelebten Staats. Aus Bauern sollten endlich Bürger,
aus Bürgern politisch Mitwirkende am Staatsinteresse werden, ständische Beschränkungen gehörten aufgehoben, Privilegien abgeschafft
oder doch beschnitten. Es blieb nicht bei Vorsätzen; nach gut einem Jahr auf eigenen Wunsch beurlaubt, hatte Stein mehr erreicht
als all seine Vorgänger zusammengenommen.
Karl August Fürst von Hardenberg, der ihn im Jahr 1810 politisch beerbte, setzte das Reformwerk fort, wobei er sich auf ein
Gutachten stützte, das er bereits 1807, damals kurzzeitig Minister, in enger Abstimmung mit anderen Reformern, darunter Stein,
erstellt hatte:
Über die Reorganisation des preußischen Staates, verfaßt auf höchsten Befehl Sr. Majestät des Königs.
Von Frankreich lernen, revolutionäre Veränderungen auf friedlichem Weg herbeiführen, im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie,
das war die Absicht der Reformer, die aus den »Allgemeinen Gesichtspunkten« der Denkschrift sogleich ersichtlich wurde: »Die
französische Revolution … gab den Franzosen unter Blutvergießen und Stürmen einen |211| ganz neuen Schwung. Alle schlafenden Kräfte wurden geweckt, das Elende und Schwache, veraltete Vorurtheile und Gebrechen,
wurden – freilich zugleich mit manchem Guten – zerstört … (Eine) Revolution im guten Sinn, geradehin führend zu dem großen
Zweck der Veredelung der Menschheit, durch Weisheit der Regierung und nicht durch gewaltsame Impulsion von Innen oder Außen
– das ist unser Ziel, unser leitendes Princip. Demokratische Grundsätze
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