Bufo & Spallanzani
weder zu Mittag noch zu Abend gegessen.
Und ich konnte auch nicht schlafen, was selten vorkam. Ich wälzte mich die ganze Nacht wach im Bett. Ich dachte an Delfina Delamare, an den Maizenabrei mit Zimt, den meine Mutter machte, als ich klein war, ja sogar an den armen Totengräber auf dem Friedhof São João Batista.
Der Kommissar aus Pereiras kam um elf Uhr. Von der Terrasse des Haupthauses aus sah ich den Traktor mit dem Anhänger langsam näherkommen. Der Kommissar war vermutlich der Mann mit dem dicken Schnauzer, der mit zwei weiteren Männern auf der Vorderbank saß. Auf der Bank dahinter saß eine Frau, die ich mit größter Überraschung und Freude erkannte. Es war Minolta, meine geliebte Minolta. Aber ich sollte eine noch größere Überraschung erleben. Auf der allerletzten Bank des Anhängers saß, von den anderen verdeckt, ein Mann mit speckigem Blouson, bei dessen Anblick mein Herz vor Schreck einen Satz machte. Es war Guedes. Guedes, der Polyp, von dem ich gedacht hatte, daß ich ihn nie in meinem Leben wieder sehen würde.
Teil IV
Die Dirne der Beweise
1
Die Kirche, zu der Guedes, der Polizist, gehörte, betrachtete die Beichte als eines der wesentlichen Elemente des Sakramentes der Buße – das Bereuen der Sünde, ohne das es keine Erlösung gibt. Das Gesetz – das Strafgesetzbuch, dem er sich unterstellte – betrachtete das freiwillige Geständnis eines Verbrechens, dessen Urheber unbekannt war oder das einem anderen angelastet wurde, als strafmildernden Umstand. Als alter Polizist und Katholik wußte Guedes jedoch, daß das Geständnis eines Verbrechers oder die Beichte eines Sünders nur dann irgendeinen Wert besaßen, wenn sie durch andere überzeugende Elemente bekräftigt wurden.
Noch als Halbwüchsiger hatte er aufgehört, zur Beichte zu gehen; er fand es demütigend und gewissermaßen absurd, vor einem anderen Mann niederzuknien, ihm seine Sünden aufzuzählen, Reue zu bekunden und seine Schuld zu verbüßen (vgl. Zehntes Trienter Konzil, Abschnitt XIV, Kap. 1 bis 9).
Auch bei der Polizei waren ihm Geständnisse zuwider, denn sie kamen aufgrund von direkter oder psychischer Gewalt zustande – was auf dasselbe hinauslief, denn für viele war Angst die schlimmste Form von Folter.
Daß er eine Aversion gegen Geständnisse jeglicher Art hatte und zwei Institutionen angehörte, die von der wesentlichen Rolle des confiteor überzeugt waren, erklärt vielleicht die gewundenen Gedankengänge des Polizisten, die ich hier mit Gleichmut zu erhellen versuche.
Als Agenor da Silva auf der Polizeiwache gestanden hatte, Delfina Delamare umgebracht zu haben, war Guedes erste Sorge, festzustellen, ob das Geständnis unter Folter erfolgt war.
Da der Mord, ein schwerwiegenderes Verbrechen als ein versuchter Raubüberfall, im Zuständigkeitsbereich seines Kommissariats begangen worden war, konnte Guedes die Verlegung des Häftlings erwirken. Begleitet von einem Kripobeamten des 14. Kommissariats holte er persönlich Agenor von der Wache ab. Der diensthabende Kommissar Wilfredo sagte, als Guedes mit dem Verlegungsbescheid für Agenor kam: »Wir haben euch die Arbeit abgenommen. Der Kerl hat alles erzählt.«
Guedes kannte Wilfredo. Er wußte, daß er nicht gewalttätig war. Er fragte: »Hast du den Mann verhört?«
»Nein. Sieh dir mal sein Strafregister an.«
Guedes ergriff das Blatt, das Wilfredo aus einer Schublade genommen hatte.
»Kann ich das mitnehmen?«
»Ja.«
»Wer hat Agenor verhört?«
Es war ein gewisser Ribas gewesen, der frisch von der Polizeischule gekommen war. Guedes entschuldigte sich und ging zu Ribas, um sich mit ihm zu unterhalten.
Das Sonderkommissariat der Schutzpolizei befand sich in einem alten Stadthaus in der Rua Marechal Floriano. Unten im Eingang war das Zimmer des diensthabenden Kommissars. Hinten lagen der Raum für das Wachpersonal und die Zellen. Im Obergeschoß befanden sich die Räume der verschiedenen Abteilungen, die zu dem Kommissariat gehörten.
Guedes stieg eine baufällige Holztreppe, deren Handlauf von Holzwürmern zerfressen war, in das obere Stockwerk hinauf. Er fand Ribas in einem kleinen Raum mit einem Lamellenfenster, dessen Scheiben zerbrochen waren. Ribas war schlank, groß und bärtig; er hatte eine Lederjacke an, die noch vom Regen naß war, und eine schwarzrote Wollmütze auf dem Kopf.
»Ich bin vom 14.«, sagte Guedes, »ich will Agenor Silva abholen.«
»Der Verwahrungstrakt ist unten«, sagte Ribas.
»Ich weiß. Ich möchte
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