Bufo & Spallanzani
Mann im speckigen Blouson. Die Sonne stand schon am Himmel, da fuhr ein Jeep vor, und heraus stiegen drei Männer.
»Sind Sie schon seit heute früh hier?« fragte der eine.
»Fahren Sie zum Refúgio?« fragte ein anderer.
Sie hatten sich verspätet, und Minoltas Antwort beruhigte sie. Der Bus zum Refúgio war noch nicht gekommen. Die zu spät Gekommenen waren der Kommissar, der Amtsschreiber und der Spurenexperte von der Polizeiwache von Pereiras. Der Kommissar kam nie pünktlich, wenn er irgendwo sehr früh sein mußte. An diesem Tag hatte seine Frau ihm mit Hilfe des Amtsschreibers ein Glas kaltes Wasser ins Gesicht schütten müssen, um ihn wachzubekommen.
Teil V
Der Fluch
1
Alle Romane kranken an einem Fluch, in erster Linie an dem, daß sie schwunglos enden. Wäre dies ein Roman, wäre er keine Ausnahme von der Regel und würde ebenfalls simpel ausgehen. (Alle Romane haben ein schwaches Ende – vgl. Forster –, »denn die Handlung verlangt eine Auflösung; es müßte für den Roman eine Konvention geben, die es dem Romancier erlaubt, mit dem Schreiben aufzuhören, wenn er durcheinander oder des Schreibens überdrüssig ist; er müßte das Buch beenden können, bevor die Personen an Kraft verlieren, während der Autor sich noch abmüht, die Handlung zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen«.) Daß der Roman als einzigen Anspruch den zu erfüllen hat, interessant zu sein, hat schon jemand gesagt (vgl. James). Aber, ich wiederhole, dies hier ist kein Roman. Deshalb (vgl. Nava) »gehen Sie doch zum Teufel. Und jetzt hören Sie zu.«
Auch Memoiren, wie die, die ich schreibe, kranken an einem Fluch. Memoirenschreiber sind zu Groll und Lüge verurteilte Schriftsteller. Ich habe zu Beginn gesagt, ich sei ein Lüstling und ein Schlemmer, um mich von diesem Fluch zu befreien – keine Lügen, das stand für mich von vornherein fest. Nebenbei bemerkt ist ein Buch anzufangen nicht schwieriger, als es zu beenden – woraus manche das Argument beziehen, es sei besser, den Leser am Ende zu enttäuschen, als ihn schon am Anfang von der Lektüre abzuschrecken.
Ich bin an mein Bücherregal gegangen, habe wahllos ein paar Bücher von weltberühmten Autoren herausgegriffen und jeweils den ersten Satz gelesen.
Wie in unserem wissenschaftlichen Zeitalter jeder Schuljunge weiß, besteht eine sehr enge chemische Verwandtschaft zwischen Kohle und Diamanten.
Unser Gefängnis war hinten, dicht an der Böschung, in den Festungsbereich eingemauert.
Spazierenzugehen war an diesem Tag unmöglich.
Durch das Tor der Gouvernementsstadt fuhr eine ziemlich nette kleine Federkalesche herein, ein Wagen, wie er meist von Junggesellen benutzt wird.
Lena sitzt am Straßenrand. Sie sieht, wie das Fuhrwerk über die Wegsteigung langsam näherrückt und denkt:
Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß es nicht.
Nunc et in hora mortis nostrae. Amen.
Wieder sind wir allein. Alles ist so träge, so schwer, so traurig.
Ich bin der Arzt, der in den folgenden Blättern oft und mit wenig schmeichelhaften Worten erwähnt wird.
Nun, Fürst, Genua und Lucca sind nichts anderes mehr als Erbgüter der Familie Bonaparte.
Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Am Nachmittag meines einundachtzigsten Geburtstags, als ich mit meinem Buhlknaben im Bett lag, kam Ali und sagte, der Erzbischof sei da und wolle mich sprechen. { * }
Rein zufällig ergeben diese Sätze sogar einen gewissen Sinn, was ein Beweis für die Theorie ist (falls es sie noch nicht gibt, stelle ich sie hiermit auf), daß Wörter, die auf irgendeine Weise zusammengefügt werden, immer einen gewissen Zusammenhang ergeben. (Vgl. Borroughs)
Ein Roman kann also anfangen, wie es dem Autor gefällt. Kann ein Buch, das mit »Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen« beginnt, den Leser ab initio interessieren? Ist es möglich, daß jemand wissen möchte, was ein Erzähler denkt, der früh ins Bett geht? Oder: »Die Geschichte Hans Castorps, die wir erzählen wollen – nicht um seinetwillen (denn der Leser wird einen einfachen, wenn auch ansprechenden jungen Menschen in ihm kennenlernen), sondern um der Geschichte willen, die uns in hohem Grade erzählenswert scheint.« So beginnt Mann seinen Zauberberg. Kann es für ein Buch einen blödsinnigeren Anfang als diesen geben, in dem der Autor zugibt, daß die Hauptperson Hans fade ist, daß er trotzdem seine Geschichte erzählen will, nur um seines zwanghaften Redebedürfnisses willen? In Wirklichkeit
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