Bufo & Spallanzani
starb, wurde die Sache natürlich gemeldet; ein Toter ist immer eine lästige Angelegenheit, da muß man etwas unternehmen. Auch Diebstähle wurden nicht gemeldet, mit Ausnahme der in Geschäften und Büros begangenen, weil die Opfer die Versicherungssumme kassieren wollten. Im Grunde vertraute keiner auf die Arbeit der Polizei; das Harmloseste, was man ihr nachsagte, war, sie sei unfähig, brutal und korrupt. Guedes war ein anständiger Polyp, das muß ich zugeben, und es gab noch viele andere anständige Leute; trotzdem ist das außergewöhnlich in einem Land, in dem es auf sämtlichen Ebenen der öffentlichen und privaten Verwaltung so viele Korrupte gibt, daß man sie gar nicht mehr zahlenmäßig erfassen kann.
Die Klatschspalten meldeten den »tragischen Tod« von Delfina Delamare; die Stammleser würden schon wissen, daß »tragischer Tod« ohne weitere Erklärungen Selbstmord bedeutete. Nachdem Kommissar Ferreira, der Dienststellenleiter des 14. Kommissariats, die Zeitungen gelesen hatte, ließ er Guedes zu sich kommen. Ferreira hatte seine Karriere als Gerichtsschreiber begonnen und war seit über dreißig Jahren bei der Polizei. Er hatte in fast allen Revierwachen des Bezirks gedient und einmal eine Sonderkommission geleitet. Sein Verhältnis zu Guedes war sachlich.
»Ich hätte gern so schnell wie möglich Ihren Bericht über den Selbstmord von Dona Delfina. Der Landesjustizminister persönlich hat mich angerufen und nähere Informationen verlangt. Sind Sie vor Ort gewesen? Wer war der Kommissar vom Dienst?«
»Dr. Bruno. Aber er war gerade nicht da, als die Meldung von der Streife kam.«
Guedes teilte Ferreira alles mit, was er über den Selbstmord wußte.
»Sie war mit einem einflußreichen Mann verheiratet, und der hat sich schon an den Minister gewandt, damit die Sache totgeschwiegen wird. Hat irgendein Journalist Sie befragt?«
»Nein.«
Als er wieder in seinem Zimmer war, rief Guedes beim Gerichtsmedizinischen Institut an. Delfina war endlich an die Reihe gekommen und obduziert worden. Der Leichnam war freigegeben und aus dem Institut abtransportiert worden.
Der Gerichtsmediziner teilte ihm mit, aus dem Postmortem-Befund (Starre, Erkaltung, Leichenflecke bzw. Magen- und Darminhalt) folgere er, Delfinas Tod sei gegen ein Uhr nachts eingetreten.
Anschließend rief Guedes im Kriminologischen Institut an.
»Ich bin noch dabei, meinen Bericht zu schreiben«, sagte der Sachverständige, »aber eins kann ich schon sagen: Das war kein Selbstmord. Ich habe sämtliche Tests durchgeführt. Sie hat keine Schmauchspuren an der Hand, in der sie die Waffe hielt. Guedes, die Frau wurde umgebracht.«
Diese Mitteilung bewirkte bei Guedes, einem kühlen und beherrschten Mann, größte Verwirrung. Er sah sich seine Aufzeichnungen an. Delfinas Auto war von innen abgesperrt, die Scheiben hochgekurbelt. Der Schlüssel steckte im Zündschloß. In der näheren Umgebung hatte keiner etwas gehört. Er kam zu dem Schluß, daß er miserabel ermittelt hatte. Er hatte den allerschlimmsten Fehler begangen und die Ermittlung einer als richtig vorausgesetzten Mutmaßung untergeordnet und dadurch eingeengt. Von vornherein zu entscheiden, daß es sich um einen Selbstmord handelte, war idiotisch gewesen.
Ein Polizist muß allen Hypothesen gegenüber offen sein. Hätte er die Möglichkeit eines gewaltsamen Todes in Betracht gezogen, hätte er vielleicht feststellen können, was der Mörder im Anschluß an das Verbrechen getan hatte; jetzt war es dazu vermutlich viel zu spät.
Guedes zog eine Grimasse. Was zum Teufel war mit ihm los? Nachlässigkeit? Ein nachlässiger Polizist steht kurz vor dem Zynismus. Der Zyniker kurz vor der Korruption. Guedes versetzte dem Abfalleimer einen Fußtritt, so daß er durchs Zimmer rollte.
»Der Alte will dich sprechen«, sagte ein Fahnder im Vorübergehen zu Guedes, der an seinem Schreibtisch saß.
»Sag ihm, ich bin unterwegs«, antwortete Guedes und zog seinen speckigen Blouson über. Er wollte nicht mit dem Kommissar sprechen.
Guedes stieg in der Rua San Martín in einen Bus und machte sich wieder auf den Weg zur Rua Diamantina. Er ging durch die Rua Faro hinauf. Zwei Stunden später befand er sich in einer Kneipe in der Rua Jardim Botânico und übertrug bei einem Bier die Skizze, die er angefertigt hatte, ins reine. Falls der Mörder in einem anderen Wagen gewesen war, mußte er, um die Rua Diamantina zu verlassen, durch die Rua Faro hinuntergefahren sein, die einzige Straße mit
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