Bugatti taucht auf
Zeit
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Er hätte sie entlassen können für diese impertinente, bösartige Bemerkung. Der Radfahrer hatte die Straße überquert, ganz offensichtlich ohne überhaupt in irgendeine andere Richtung zu sehen als auf die gegenüberliegende Straßenseite, die nur wenige Meter entfernt schien, er hätte den Kopf wenden können, er hätte lauschen können, er hätte das Auto sehen und hören können, aber nein, der Mann war ein fahrlässiger und gemeingefährlicher Idiot, Jean hätte ihn überfahren können, aber er hatte reagiert, zuverlässig wie immer
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»Monsieur Jean war viel zu schnell«, sagte Madame Tayssèdre
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»Er war nicht zu schnell, er ist ein Testfahrer, ein Testfahrer kann nicht zu schnell sein, oder er hat seinen Beruf verfehlt.«
»Die Straße war nicht mehr abgesperrt«, beharrte Madame Tayssèdre
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Ettore warf ihr einen Aktendeckel an den Kopf
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Aber jetzt stand Maurice Bonnet vor ihm und versuchte sich wichtig zu machen
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»Ich akzeptiere keine Entschuldigung«, presste Ettore hervor
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»Nein, es gibt auch keine Entschuldigung für das, was passiert ist. Ich bin noch am Leben, und das verdanke ich Ihrem Sohn, wie soll ich mich da entschuldigen.«
Wenn mein Sohn nicht so ein Rennarsch gewesen wäre, hättest du um dein Leben von vornherein keine Angst haben müssen, dachte Ettore, so siehts aus, und Madame Tayssèdre weiß es, wie alle es wissen, also winsle hier nicht herum. Laut sagte er: »Arbeiten Sie im Werk –«
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»Nein.«
»Ihr Vater, ihre Familie.«
»Nein. Ich bin Musiker. Ich gebe Geigenunterricht am humanistischen Gymnasium von Strasbourg, meine Eltern kommen aus dem Piemont, wie Sie.«
»Mailand, Lombardei.«
»Ah so.«
Wollte der Mann etwa Geld. Ettore sah sich seine Schuhe an. Braune Schuhe zum schwarzen Anzug, sie waren alt, aber poliert. Die Ärmel des Anzugs abgestoßen, was konnte man erwarten. Er dachte an seinen Bruder, der im Zoo von Antwerpen die Nächte verbracht hatte, inmitten des Tiergeruchs schlief, und einfach vergaß, sich zu waschen. Oder zu essen. Weil er diesen Elefanten schaffen wollte, eine zierliche Figur im Tanz, eine vollkommen artifizielle Haltung, wie sie in der Natur nie vorkommen würde, aber deswegen umso verständlicher. Eine Figur, wie Ettore sie Jahre später auf die Kühlerhaube seines schönsten und großartigsten Autos setzen würde, eines Achtzylinders, des Royale, dem Symbol der Könige, der Macht, der Anmut. So hatte er es sich vorgestellt, und so hatte er es getan, aber das Auto war so schön, so elegant, so stark, dass keiner es haben wollte, am wenigsten die Könige. Gekrönte Häupter, so ein Schwachsinn. Nach diesem Krieg würde es derlei nicht mehr geben, dafür wäre kein Platz mehr in der Welt. Ettore musste lachen
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»Was werden Sie tun, wohin gehen Sie?«, fragte er
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Der Mann zuckte die Schultern. »Sie meinen den Krieg? Was kann ich schon tun, ich klemme mir meinen Neffen unter den Arm und renne, so weit ich kann.« Der Mann lachte ein wenig, es klang nicht zuversichtlich
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Bronski legte das Blatt beiseite, er hielt die Papiertüte auf den Knien.
»Ich habe einmal versucht, die Biographie zu schreiben, die Biographie der Familie Bugatti, ein Standardwerk sollte es werden. Alle Familienmitglieder eingeschlossen, und selbstverständlich die Entwicklung sämtlicher Autotypen und aller anderen Erfindungen, die die Familie machte. Einmal –«, Bronski lachte kurz und leise, »mehrere Jahre lang habe ich daran gearbeitet. Aber ich habe gemerkt, dass mich die Menschen seltsamerweise mehr interessierten als die Autos und die Erfindungen, und da habe ich damit aufgehört.«
Jordi zögerte, er verstand nicht, was Bronski meinte.
»Ich bin Ingenieur, ich wäre den Menschen nicht gerecht geworden.«
Jordi wollte protestieren, er traute sich nicht, er wusste zu wenig über Bronski. Er überlegte kurz.
»Die Firma ist kurz vor dem Bankrott. Der erstgeborene Sohn stirbt. Drei Wochen später bricht der Weltkrieg aus. Und Ettore – sitzt in Paris und erfindet Flugzeugmotoren. Das ist –«, Jordi suchte nach einem Wort.
»Er war nicht so zäh wie es schien«, sagte Bronski. »Ganz und gar nicht so zäh. Er konnte nur seine Fähigkeiten richtig einschätzen. Drei seiner besten Rennfahrer zum Beispiel gingen in den Untergrund und arbeiteten für die Résistance, Robert Benoist, Jean-Pierre Wimille und Williams Grover-Williams und auch Madame Tayssèdre und ihr Ehemann. Sie wurden alle verhaftet und deportiert. Madame Tayssèdre war
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