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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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einen Moment. Ich muss in die Scheune.«
    Wieder ging Bronski hinaus, er kam zweimal wieder, das erste Mal mit einem Beutel, in dem verschiedene Stücke Käse waren, das zweite Mal mit einem halben Laib Brot und einem Messer. Er breitete eine Zeitung auf dem Boden aus und legte alles darauf. Dann verschwand er in der Küche und kramte einige Zeit in einer der Schachteln, zurück kam er mit einer Plastiktüte, in der sich lose, dicht beschriebene Blätter befanden.
    »Hören Sie zu«, sagte er, und begann vorzulesen.
    Es ist Krieg. Immer noch kommen Kondolenzbriefe, aus aller Welt. Selbst der unappetitliche König Zogu von Albanien ließ es sich nicht nehmen, sein Beileid auszudrücken, Ettore mochte das Papier gar nicht anfassen. Aus dem Sultanat Brunei traf ein Schreiben des höchstherrscherlichen Mitgefühls ein, es wurde von einem Kurier überbracht, der stehenblieb, solange Ettore den Umschlag mit dem Siegel in Händen hielt; er schien auf eine Antwort zu warten. Die Anteilnahme dieser Fremden war eine Last. Sie war eine Zumutung. Was ging den Sultan von Brunei das Leben seines Sohnes an. Ja, das Leben, was konnte Jean schon umbringen. Er winkte den Boten hinaus, rief ihm nach: »Flugzeuge, ich baue ein Flugzeug, Geschwindigkeitsrekord brechen, die Deutschen besiegen –. Daran müssen Sie denken, nicht an den Tod, niemals an den Tod –.« Der Kurier, ein junger Mann mit grauen Schläfen, drehte sich erstaunt um, der Mann vor ihm sollte in Trauer sein, aber der Mann war erbost, der Kurier verstand nicht, warum, er sprach kein Französisch; er lächelte verlegen, verbeugte sich und ging leise davon
.
    Es war Krieg, um ihn herum ein einziges Chaos, und in seinem Inneren ein Schmerz, dem er nicht beikommen konnte, den er nicht ersticken konnte, der nicht aufhören wollte, ihn zu peinigen; er ließ seine Faust auf die Tischplatte niederkrachen, einmal, atmete, zweimal, atmete, dreimal, Tränen stiegen in die Augenwinkel, hervorragend, er schlug gleich noch einmal zu, diesmal auf das Balsaholzmodell, es splitterte und barst, er rammte den Bauch des Flugzeugs auf den Tisch, plättete Rumpf und Flügel und machte mit ein paar weiteren schnellen Fausthieben den Propeller klein. Er schnaufte. Er schluchzte. Das Modell verschwamm hinter Schlieren. Er hielt inne. Dann wusste er es. Er nahm den Telefonhörer und ließ sich verbinden: »Zwei Motoren«, rief er, »wir brauchen zwei Motoren, hintereinandergeschaltet, und zwei gegengleich rotierende Propeller.« Der Konstrukteur am anderen Ende war still. Ettore lehnte sich zurück und schloss die Augen: »Schweigen Sie ruhig, schweigen Sie. Danke für Ihr Schweigen. Ich sehe Sie morgen früh.«
    Im Auflegen dachte er, dass es natürlich weitergehen würde, er würde die Werke so durch diesen Krieg manövrieren und sie retten, wie er sie durch den ersten Krieg gebracht hatte, mit den Prototypen, den Erfindungen, mit all den Arbeitern und ihren Familien, mit den Konstruktionszeichnungen, mit … – er war ans Fenster gegangen und sah den Mann draußen stehen. Sein Gesicht kam Ettore bekannt vor
.
    Später würde er Madame Tayssèdre, die seine Sekretärin war, Vorhaltungen machen, weil sie den Mann vorgelassen hatte. Aber Madame Tayssèdre war zäh, natürlich, sonst hätte er sie nicht eingestellt, und verteidigte sich und den Kerl, der, wie sie sagte, ein gutes Recht darauf hatte, seinen Teil der Geschichte vorzutragen
.
    Genau das hatte Ettore auf keinen Fall gewollt. Am liebsten wäre er rückwärts weg- und davongegangen, durch irgendeine Tapetentür, seinetwegen sogar durchs offene Fenster, wenn es ebenerdig gewesen wäre, verschwinden hätte er wollen, sich unsichtbar machen. Aber nun stand der Mann vor ihm, nicht mehr im Innenhof, hier im Zimmer, und für Flucht war kein Platz
.
    »Kein guter Tag«, brachte Ettore hervor, ihm war speiübel
.
    Der Mann verstand ihn falsch. »Der schlechteste Tag in meinem Leben, der schlimmste.« Er machte eine Pause. »Es gab keinen Grund, so spät so schnell unterwegs zu sein, ich musste nirgendwohin, ich meine, ich wollte nach Hause, aber ich wurde nicht erwartet, von niemand. Ich bin nicht verheiratet. Mein Großneffe ist mein Patenkind, er ist sozusagen die einzige Familie, die ich habe.«
    Maurice Bonnet, sagte Madame Tayssèdre später, Maurice Bonnet habe sich nichts zuschulden kommen lassen, sein einziges Vergehen sei es gewesen, sportlich zu sein und schnell unterwegs und nicht mit Verkehr gerechnet zu haben, um diese

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