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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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werden sollte –, ließ er die vier, die ihm geholfen hatten, im Grotto Sebastiano bewirten. Er selber packte eine Tasche, um Matteo Bronski in dessen Bergdorf zu besuchen.

36
    Bronski war ein alter Mann geworden. Er lebte alleine auf einem Hof in den Bergen der französischen Schweiz. Er hatte keinen Computer, keine Internetverbindung und nur eine einzige Telefonnummer. Um zu ihm zu kommen, musste man von Norden her über den Col de Mollendruz, eine steile, kurvenreiche Straße hinunter, von Süden führte der Weg vom Lac Léman aus bergauf. Jeden Abend aß Bronski im Gasthof des benachbarten Dorfes, und weil sein Magen ihn alles andere büßen ließ, bestellte er stets gedämpften weißen Fisch, der bereits in der Küche für ihn in mundgerechte Stücke zerteilt wurde, und gekochtes Gemüse, nur gesalzen, ohne Gewürze.
    Sie saßen auf der verwitterten Terrasse, und erst als es zu regnen begann, bat Bronski seinen Besucher ins Haus. Er tat es mit langsamen, umsichtigen Bewegungen, als wäre er selbst ein Fremder und würde die Räume zum ersten Mal betreten. In der dämmrigen Diele stapelten sich Umzugskartons, die sorgfältig an der Seite beschriftet waren und anscheinend Auto- und Motorsportzeitschriften enthielten, sie schienen nach Ländern und Jahrgängen geordnet zu sein, spanischsprachige waren darunter, englische, französische, italienische –
Automobiles classiques
, las Jordi im Vorbeigehen,
Octane, powerslide, Retro Cars, Automobilismo d’Epoca …
Die Küche, durch die Bronski mit vorsichtigen Schritten vorausging, war praktisch nicht benutzbar. Schachteln türmten sich vom Boden bis zur Decke, auf der Anrichte teils gebündelte, teils nachlässig in Packpapier eingeschlagene Zeitschriftenstöße, sogar auf dem Herd und der Abtropffläche, und das Spülbecken war gefüllt mit Bleistiften, Markern, Filzschreibern und Scheren, die in Gläsern und Dosen standen. Danach, im Wohnzimmer, musste Bronski mit einer Umschichtung beginnen, um für Jordi einen Sitzplatz freizuräumen; er hob Obstkisten voller Bücher hoch, ein wenig ratlos, drehte sich hierhin und dorthin, verschwand mehrmals in einem dunklen Flur, von wo Jordi ein schleifendes Geräusch zu hören meinte; schließlich deutete Bronski auf einen niedrigen, verschossenen Sessel, er selbst ließ sich kurzerhand auf einer Holzkiste nieder. Die Regale, die alle vier Wände bedeckten und durch waghalsige Verlängerungen mit einzelnen Brettern auch in die Fensterflächen hineinragten, waren gepresst voll mit Büchern und Zeitschriftensammelbänden. Jordi konnte die dicken Lettern von Bildbänden entziffern, Namen, die ihm nicht geläufig waren, vermutlich alte Automarken, die längst nicht mehr produziert wurden …
Delahaye, Isotta-Fraschini, Panhard+Levassor, Delage, Pilain, De Dion-Bouton
… Werke über Bugatti jedoch schienen den meisten Platz zu beanspruchen.
    Das Gespräch hatte sich um Lucas Tod gedreht, um den Prozess und die Verstocktheit der Angeklagten, dann hatte Jordi über den Fortschritt der Bergung berichten wollen, musste aber mit dem Sturm enden, bei dem das Arbeitsboot untergegangen war. Nachdem er in wenigen Sätzen geschildert hatte, dass das Boot inzwischen an Land war, zur Reparatur, merkte er, dass er hier nicht saß, um sich bei Bronski Informationen über die Geschichte von Ettore Bugatti und seiner Autoproduktion zu holen, sondern um vor einem fremden Menschen einzugestehen, dass er den Faden verloren hatte, dass er die Dinge in seinem Leben nicht mehr zusammenbekam.
    Bronski hatte ihm in seiner freundlichen Art bedächtig zugehört.
    »Sie wollen aufgeben?«
    Jordi hob die Schultern, hilflos.
    Er konnte Bronski nicht ansehen, dessen Gesicht war wie schrundiges, aber weiches, verwittertes Holz. Ein wenig Staub schien darauf zu liegen.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Jordi, »ich weiß es nicht.«
    Bronski musterte Jordi lange aus seinen hellen blauen, fast farblosen Augen. Unvermittelt begann er von dem Bauernhof seiner Eltern zu sprechen, auf dem er aufgewachsen war. Irgendwo auf einem Hochplateau im Wallis, eingeschneit im Winter, barfuß im Sommer.
    »Genau kann ich mich an den Tag erinnern, an dem zum ersten Mal ein Motorengeräusch am Himmel zu hören war, hinaus bin ich gelaufen, aus dem Haus auf die Wiese, und habe mich gedreht, den Kopf im Nacken, gedreht und gesucht, und ich habe das erste Flugzeug in meinem Leben gesehen, so ein Gefühl kannte ich zuvor nicht, wie mich das getroffen hat. Es war Krieg, das habe ich

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