Bugschuß
ein schönes Exemplar eines niederländischen Kooikerhondjes, hätte den Vogel gefunden, apportiert und wäre mit dem Jagdgut stolz zu ihm gekommen.
Nun ging er dem Ende des letzten Drittels entgegen, dachte Kremers. Vielleicht gab ihm der da oben ja ein paar Jahre mehr, denn er lebte gern.
Nur ein Mal, ein einziges Mal, hatte er in all den Jahren einen rabenschwarzen Tag erwischt. Und wie es so war unter den Menschen, erinnerte sich nach wie vor jeder daran. Das war bitter, denn Kremers war ohne Zweifel ein exzellenter Jäger.
Er war auf den Wiesen vor dem Schilfgürtel gewesen, als er eine ganze Gruppe von Enten auf dem Wasser sah. Er hatte sein Kleinkalibergewehr dabei, somit kein Schrot, da er eigentlich Wasserratten jagen wollte. Aber die Tiere schwammen still vor sich hin – warum es nicht versuchen? Er wusste, dass es fragwürdig war, zumal die Kugel sehr weit fliegen konnte. Gleichwohl kannte er die Breite des Schilfgürtels und sah keine Gefahr. Kremers näherte sich vorsichtig, legte an und schoss. Dabei hatte er – und den Vorwurf musste er sich gefallen lassen – nicht bedacht, dass hier nach wie vor ein paar alte Eisenträger einer begonnenen, jedoch nie einsatzbereiten ehemaligen Flakstation aus dem zweiten Weltkrieg im Wasser standen. Mitten im Schilf störten sie kaum jemanden, es waren außerdem Warnschilder aufgestellt worden. An diesem Tag prallte eine von Kremers abgefeuerten Kugeln genau auf einen dieser rostigen Eisenträger, wurde abgelenkt und flog in einer anderen Richtung weiter. Beinahe wäre es zur Katastrophe gekommen. In der Nähe hielt sich ein Kajakfahrer auf, der sich, mit dem Paddel stakend, weit in das Schilf vorangetrieben und in der Abendsonne gedöst hatte.
So etwas tat man nicht, zudem war es nicht erlaubt, ärgerte sich Kremers noch heute. Die Kugel hatte den Wassersportler fast getroffen. Der Kajakfahrer erschrak heftig und rief sofort lauthals, dann versuchte er, mit dem Paddel Halt suchend, sich aufzurichten, um seine Anwesenheit zu signalisieren.
Eibe Kremers fiel fast sein Gewehr aus den Händen. Er stürzte ins Schilf, rief und fand den Paddler, der zunächst, gleichsam angstvoll und konsterniert, auf den Landwirt mit der Jagdwaffe starrte. Als er Eibe sah, fing er sofort an, zu lamentieren, ob er ihn umbringen wolle. Was er denn für ein Jäger sei, ob er seinen Jagdschein, den er wahrscheinlich gar nicht hatte, allenfalls im Lotto gewonnen habe, und … Kremers entschuldigte sich fortwährend, wütend und entsetzt zugleich. Dass ihm solche Vorwürfe gemacht wurden, gerade ihm! Insgeheim wusste er aber um sein leichtsinniges Verhalten. Der Mann hatte recht. Eibe fiel nichts Besseres ein, als dem Kajakfahrer eine Entschädigung zu bieten. Er fragte ihn, ob er nicht mit zu seinem Hof kommen wolle, man könne bei einem Tee alles in Ruhe besprechen. Der Mann blieb jedoch hart: Er würde Kremers anzeigen, und so geschah es wenig später.
Kremers war am Boden zerstört, als Greta Wübben, eine Polizistin aus Suurhusen, mittags auf seinen Hof fuhr, die Anzeige überbrachte und ihn zu dem Fall befragte. Schließlich musste er ein Bußgeld zahlen, eine Überprüfung seines Waffenbestandes und dessen Aufbewahrung über sich ergehen lassen und wurde abgemahnt. Seine Jägerehre war angekratzt. Schlimmer aber war, dass der Fall durchs Dorf und durch die lokale Presse gegangen war. Sein Ruf litt darunter, das wurmte ihn. Der Vorfall hatte sich tief in Eibe Kremers eingegraben, ein für allemal.
5
Es war einige Zeit her, als sich Siebold de Vries und Gernot Jande in einer Emder Gastwirtschaft getroffen hatten, um noch einmal über eine Geldangelegenheit zu sprechen, an der vor allem de Vries gelegen war. Die Kneipe machte keinen gemütlichen Eindruck, sie war funktional eingerichtet, das Mobiliar wies Spuren jahrlanger Nutzung auf, Gardinen und Vorhänge konnten eine Wäsche vertragen. Kneipen dieser Art gab es nicht mehr viele. Wer nach einer Wirtschaft suchte, wäre an dieser wahrscheinlich achtlos vorübergegangen. Denjenigen, die hier ein- und ausgingen, schien es zu gefallen, aber vielleicht war es einfach nur dieses Die-kleine-Kneipe-in-unserer-Straße-Gefühl. Durch die Stammgäste hatte sie sich wohl schon Jahrzehnte an der Ecke zweier sich kreuzender Straßen gehalten. In diesem Viertel lebten überwiegend Menschen, die in der Seehafenstadt Emden auf irgendeine Weise ihr Auskommen gefunden hatten, nicht das große Geld, aber genug, um sich auch einmal ein
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