Bugschuß
Schicksal das alles so – auch wenn er nach wie vor behauptet hätte, nicht daran zu glauben.
Wientjes und seine Freundin kamen erneut ins Wohnzimmer. Sie stellten Schalen auf den Tisch. Harm Wientjes schenkte Wein nach. Es wurde eifrig gesprochen. Waren die Schüsse vom Großen Meer das Thema? Oder die Artikel in den Zeitungen, die darüber berichteten und die die Sicherheit in diesem schönen Feriengebiet in Zentralostfriesland infrage stellten? Diskutierten sie die Ermittlungen der Polizei, die nichts vorzuweisen hatte? Der Heckenschütze lächelte in sich hinein. Im Grunde sprachen und schrieben doch alle über ihn!
Schwierig wäre es wiederum, so schnell und unauffällig wie möglich den Tatort zu verlassen. Die Situation war günstig, aber man wusste ja nie. Er war schon einmal hier gewesen, um den Ort zu erkunden, unauffällig, als niemand sonst auf diesem Weg hinter den Häusern unterwegs war. Es waren knapp 30 Meter zu überwinden, dann teilte sich der Fußweg und es gab mehrere Möglichkeiten, eine neue Richtung einzuschlagen. Bis jemand hier war, wäre er verschwunden.
Er hob die Pistole an, nahm sein Ziel ins Visier. Den Arm konnte er nicht ausstrecken, das war ihm jedoch egal. Er schoss aus allen Lagen.
Er zielte, und die Erregung erfasste seinen Körper, sein Denken. Schweiß tropfte von der Stirn. Auch am Großen Meer war ihm der kalte Schweiß ins Auge geronnen, just als er abgedrückt hatte. Rational betrachtet war das irrsinnig, was er betrieb. Er konnte nicht anders.
Niemand würde ihn hier vermuten, keiner wusste von seinem Vorhaben. Das war sein Vorteil. Noch. Bereits beim nächsten Mal wäre es vielleicht anders. Die Polizei ermittelte schließlich.
Er zielte auf die Schüssel, die in der Mitte des Tisches stand. Was mochte darin sein? Kartoffeln? Reis? Nudeln? Gemüse? Er würde keine Zeit haben, das zu prüfen. Er würde die Schüssel zertrümmern, ein Schuss, vielleicht zwei. Und dann abhauen.
Sein Zeigefinger berührte den Abzug. Er musste sich wahnsinnig anstrengen, das Zittern zu unterdrücken. Wieder ein Schweißtropfen. Ich will Erfolge sehen!, ging es ihm durch den Kopf. Was hatte das mit Erfolg zu tun? Er verscheuchte alle Gedanken.
Er spannte die Muskeln seines Fingers an, schloss einmal kurz die Augen, um das Ziel daraufhin etwas klarer vor sich zu sehen. Die schöne Schüssel, die Fensterscheibe. Es würden Kosten auf Harm Wientjes zukommen.
Er betätigte den Abzug. Ein lauter Knall. Schon war er dabei, eiligst zu verschwinden. Das Geschoss nahm seinen Lauf, flog auf das große Fenster zu. Es bohrte sich durch die Scheibe, unerbittlich, Risse formten sich um das Einschussloch. Dann traf es die Porzellanschüssel, der Inhalt verteilte sich im Wohnzimmer, spritzte in alle Richtungen. Das Projektil flog weiter, bis es in der hölzernen Schrankwand stecken blieb. Schreie.
Der Mann war an der Weggabelung angelangt. Er lief nach links. Im Nu hatte ihn die Dunkelheit verschluckt.
21
»Es muss endlich Fortschritte geben! Wir dürfen uns nicht zum Narren machen!« Polizeipräsident Eilsen war außer sich. »Das kann doch nicht wahr sein!«
Eilsen ging nervös hin und her, sein Kopf war rosarot. Nach dieser nervenaufreibenden Mitteilung nahm er sein Handy, wählte eine Nummer aus der Kontaktliste und drückte die Anruftaste.
»Frau Itzenga?«
»Am Apparat!«
Eilsens Festnetztelefon klingelte zum x-ten Mal an diesem Tag. Während er abnahm, sprach er in das Handy in der anderen Hand: »Bleiben Sie dran, bitte!«
Tanja Itzengas Worten: »Hallo, Herr Eilsen, es ist gerade ungünstig, ich muss …«, hatte der Präsident schon nicht mehr gehört. Er sprach auf der anderen Leitung.
Also blieb sie dran, wie gewünscht.
Sie zuckte zusammen, als sie Eilsen plötzlich schreien hörte: »Es gibt einen Höllenärger! Wir müssen baldigst Fahndungserfolge vorweisen!« Seinem Gesprächspartner mussten die Ohren wehtun.
Nach kurzer Zeit meldete sich Eilsen wieder am Handy: »Frau Itzenga?«
»Ist etwas passiert?«, erkundigte sich die Hauptkommissarin vorsichtig und mit ruhiger Stimme.
»Ach …«, zögerte Eilsen zunächst und fuhr fort: »Es ist nicht zu glauben!«
»Darf ich fragen …?«, sie kam nicht weiter.
»Deshalb habe ich Sie ja angerufen. Ein Anruf von einem Hauptwachtmeister Ahrends. In Emden hat es Schüsse auf ein Einfamilienhaus gegeben.«
»Ein Einfamilienhaus?«
»Im Stadtteil Constantia!«
»Constantia …«
»Nach Westen raus, Richtung Larrelt
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