Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
statt. Die Kollegen des Deutschen Theaters haben sich nun auch entschlossen, bei der friedlichen Revolution mitzumachen. Ein Schauspieler liest mit ernstem Gesicht aus der Verfassung der DDR vor, Stefan Heym hält eine flammende Rede für einen demokratischen Sozialismus, die nicht so recht ankommt. Andere, nun irgendwie Exparteimitglieder, halten ebenfalls Reden.
Der Masse da unten sind die Redner da oben suspekt, gelegentlich hört man ein vereinzeltes Buh, mitunter aber auch eines aus zwanzigtausend Kehlen, wenn ein Prominenter aus der DDR - VIP -Schaukel allzu deutlich die Seiten gewechselt hat. Später werden viele, die da oben auf dem Podium stehen, in unzähligen Talkshows so lange wiederholen, dass sie die Anführer der friedlichen Revolution in der DDR gewesen seien, bis sie es selbst glauben. Aber nur so bekommt man einen festen Eintrag im Buch der Geschichte, endlich, aber doch unverdient. Denn die Blessuren trugen andere davon. In Jena, Zittau, Zwickau, Erfurt, Dresden, Rostock, Schwerin und anderswo.
11 NICHTS ÜBER MEINE KINDHEIT
NICHTS ÜBER MEINE KINDHEIT
11 »ICH WERDE IHNEN NICHTS über meine Kindheit erzählen.«
»Warum nicht?«, fragt mich der junge Mann mit dem A4-Ringbuch auf den Knien.
»Weil ich dann gleich meine eigene Diagnose schreiben könnte.«
»So schlimm?« Der Psychologe zwinkert mir zu.
»Meine Schwester hatte eine Boutique in der Bölschestraße in Friedrichshagen.«
»Aha«, sagt der Psychologe und setzt seinen Stift an.
»Die Boutique hieß ›Iris und Achim‹ und hatte viel Erfolg. Aber Achim, meint meine Schwester, sei irgendwann größenwahnsinnig geworden, anstatt sich mit dem zu begnügen, was sie sich erarbeitet hatten. Achim wiederum beharrt darauf, dass Iris keine Ahnung vom Geschäft gehabt hätte. Wie dem auch sei, aus irgendeinem Grund eröffneten sie eine zweite Boutique. Zunächst in Friedrichshain, einem Bezirk, der damals noch mehr oder weniger tot war, und als diese nicht lief, dann im Forum Köpenick.«
Der Psychologe unterbricht mich, harscher als sonst. »Wir wollen doch über Ihre Kindheit sprechen.«
»Nein«, sage ich, »Sie wollen über meine Kindheit sprechen, ich will über den Bankrott der Boutique ›Iris und Achim‹ sprechen. Der Grund für den Käuferboykott könnten die bunten Herrenhemden gewesen sein, die Achim so liebte, die aber bei den Kunden möglicherweise auf Unverständnis stießen. Ich meine nicht Hawaii-Hemden. Ich meine komplexe Ungetüme, die sich an einen sehr speziellen, vielleicht auch massentauglichen, aber in Friedrichshagen sehr raren Geschmack wenden. Achim, der Mann mit den, von allen, die ich kenne, mit Abstand meisten Berufen, wie Gebäudereiniger, Kaminverkäufer, Facharbeiter für Datenverarbeitung, Versicherungsvertreter und Erfinder von nutzlosen Gegenständen, ist aber in dieser Hinsicht so unerschütterlich wie unbeirrbar. Sei’s nun wegen dieser bunten Herrenhemden, oder weil meine Schwester Kunden beschimpfte, die nur mal so zum Gucken gekommen waren, wie sie selbst sagten, oder eben wegen der Dependance im Forum Köpenick, die hohe Kosten verursachte, oder auch weil sich Herzensgüte und Kapitalismus nicht vertragen können – das ganze Geschäft hat jedenfalls bankrott gemacht.«
Der Psychologe kapituliert. »Sind Sie immer so ausschweifend?«, fragt er mich erschöpft. »Kommen Sie nie auf den Punkt?«
»Das stimmt«, sage ich, »da haben Sie recht. Das ist mein Problem. Ich bin unkonzentriert. Das ist vor allem beim Schreiben von Filmen ein großes Problem. Es ist zum Verzweifeln, diese Plot-Hörigkeit im deutschen Film. Als ginge es darum.«
»Ach, worum geht es denn?«
»Fragen Sie mich das im Ernst?«
»In Filmen«, fügt der Psychologe hastig hinzu.
»Stellen Sie sich vor«, sage ich, »Sie sind ein Detektiv und Sie müssen eine Zielperson verfolgen, Sie dürfen sie nie aus den Augen lassen. Wenn Sie sie aus den Augen lassen, ist der ganze Auftrag dahin. Die Straße, auf der Sie diese Person verfolgen, ist sehr belebt. Aber Sie sind wirklich konzentriert auf die Verfolgung. Doch da kommt sie, wunderschön oder auch ganz normal, nullachtfünfzehn. Jedenfalls wollen Sie auch den Arsch sehen und drehen sich um. Sie sehen ihr hinterher, nicht lang, nur für einen kurzen Moment. Aber die Zielperson ist weg, Ihr Auftrag futsch.«
»Und?«, fragt der Psychologe. »Was machen Sie dann?«
»Ich gehe hinter dem schönen Arsch her.«
»Und wenn dann ein neuer schöner Arsch kommt?«
»Dann gehe
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