Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
verfolgen?«
»Ich weiß es nicht.«
Er weiß es nicht, notiert sich der Psychologe. »Unsere Zeit ist um«, sagt er.
Ich gehe an dem zitternden van Seefeld vorbei, der draußen vor der Tür gewartet hat. »Heimweh«, sagt er zu mir und lächelt.
Meine Schwester und ich gehen die Treppe hinauf. Oben aus dem Schlafzimmer meiner Eltern hören wir Geräusche.
Sie sind die ganze Nacht nicht da gewesen. Genauer gesagt: Mein Vater war drei Tage lang verschwunden, bis es gestern Abend einen Anruf gab, meine Mutter sich ihren Mantel griff und hinausrannte. Am nächsten Morgen wurden wir von Geräuschen geweckt, unter denen auch das Weinen meiner Mutter zu hören war.
So gehen wir jetzt langsam die Treppe hinauf, mit jedem Tritt überschreiten wir ein wenig mehr die Grenze zu den Erwachsenen und ihren Problemen, die mir oft so monströs und grauenhaft erscheinen, dass mir der Gedanke, selbst einmal erwachsen zu sein, völlig absurd vorkommt. Es beruhigt mich auch an diesem Morgen, dass ich erst zehn bin und noch Zeit habe.
Mein Vater liegt im Bett, meine Mutter sitzt neben ihm auf der Bettkante. Er hat ein geschwollenes Gesicht. Die Augen sind fast nicht zu sehen unter den Blutergüssen. Er hebt seine Arme und zeigt uns seine Handgelenke, sie sind rot und ebenfalls geschwollen.
Meine Mutter wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Jetzt fängt mein Vater an zu weinen. »Sie haben mich verprügelt, die Treppe runtergestoßen«, er streckt uns seine Handgelenke entgegen, »hier, Handschellen«, er weint noch mehr. »Ich will nach Hause«, sagt er unter heftigem Schluchzen.
»Bist du doch, Ezard«, sagt meine Mutter, wobei sie das E lang zieht und das zard knallen lässt wie einen Peitschenhieb.
»Ich will zurück in mein Dorf.«
»Was willst du denn jetzt da?«
»Den Boden bestellen, es ist Herbst.«
»Wie war das damals, als die Polizei Papa zusammengeschlagen hat?«, frage ich meine Mutter am Telefon.
»Tja, wie war das damals? Er wurde ja nicht nur einmal zusammengeschlagen«, sagt meine Mutter.
»Als er den Boden bestellen wollte«, versuche ich ihr auf die Sprünge zu helfen.
»Ach, den Boden wollte er doch öfters bestellen.«
»Es soll eine Verfolgungsjagd mit den Bullen gegeben haben …«
»Ja, ja, stimmt, Papa hatte doch diesen, na, wie hieß er noch, die Treppe in der ›Möwe‹ runtergestoßen.«
»Manfred Krug?«
»Nein, nicht Krug, der hat ihn mal dort die Treppe runtergestoßen.«
Die Treppe in der »Möwe« eignete sich gut, um jemanden herunterzustoßen. Sie war nicht sehr steil, aber breit, mit flachen und mit Teppich belegten Stufen. Man konnte da sehr gut und sehr lange fallen.
»Jedenfalls haben die dann in der ›Möwe‹ die Polizei gerufen.«
»Ja, und Papa ist abgehauen, in seinem Wartburg.«
»Es gab also wirklich eine Verfolgungsjagd?«, frage ich und lache dabei, um meiner Mutter nicht den Eindruck zu geben, ich würde heute noch darunter leiden.
»Durch halb Ostberlin«, seufzt sie. »Und dann haben sie ihn eingekriegt und gleich vor Ort verprügelt.«
»Dann musstest du ihn abholen auf der Wache?«
»Nein, nein, ich wusste ja gar nicht, wo er ist, das haben die einem ja nie gesagt. Sie ließen ihn dann irgendwann gehen, sein Rechtsanwalt hat ihn da rausgeholt.«
»Er musste was unterschreiben?«
»Ja, dass ihm kein Härchen gekrümmt wurde. Er stand dann mit diesem grün und blau geschlagenen Gesicht vor unserer Tür, und ich war sauer, obwohl es ja nicht das erste Mal war. Vielleicht auch weil es nicht das erste Mal war.«
Meine Mutter ärgert sich immer noch, das höre ich an ihrer Stimme, sie klingt wie ein Kristallglas, an das man mit dem Finger schnippt. Ich kenne diese Stimme gut.
»Einmal«, sagt sie, »bin ich zur Polizei und habe da ein riesiges Affentheater gemacht.« Affentheater ist eines der Lieblingsworte meiner Mutter. »Ich bin direkt zur Wache, keine Ahnung, warum er diesmal da war, jedenfalls habe ich ein ziemliches Fass aufgemacht.«
Meine Mutter schweigt. Dann hakt sie bei sich selbst nach. »Da waren auch Frauen im Spiel, aber wer waren die? Und wer war der, den er die Treppe heruntergestoßen hat? Vielleicht doch Manfred Krug?«
Es kommt diese Stille, die immer dann kommt, wenn wir an ihn denken müssen.
»Er war furchtbar, aber trotzdem …«, sagt meine Mutter und ich höre sie lächeln, »… man musste ihn einfach liebhaben.«
12 IMMER WIEDER SONNTAGS
IMMER WIEDER SONNTAGS
12 ICH BIN BERLINER, doch zu meinem Ärger wurde ich
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