Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
väterlicherseits. Meine Großeltern Haußmann verkörperten dieses Komische mit aufrechter Haltung. In ihrem Haus in Berlin-Biesdorf am S-Bahn-Gleis, mit dem verwilderten Garten und einer Bibliothek, die die unvollständige Cotta’sche Ausgabe von Goethes Gesamtwerk letzter Hand enthielt. Im dunklen Wohnzimmer zeugte Nippes von längst vergangener Pracht. Ein Kamin, von meinem Großvater in Betrieb gesetzt, vor allem, wenn Gäste kamen, hüllte den Raum in qualmende Schwaden.
Meine Großmutter kannte ich fast nur sitzend. Ihr Credo »Mit vierzig beginnt das Altern« hatte sie, die das Kategorische so liebte, an ihrem vierzigsten Geburtstag erklärt. Von diesem Zeitpunkt an hatte sie keinen Sex mehr und bewegte sich auch sonst kaum noch.
Mein armer Großvater, der aussah, wie Großväter auszusehen haben, saß auf der linken Seite der Couch, meine Großmutter auf der rechten. Es brauchte eigentlich keinen Kamin, denn meine Großeltern waren starke Raucher, so wie mein Vater und meine Mutter auch. Ich kann mich also an die Umgebung nur noch sehr nebulös erinnern, im Grunde habe ich meine Großeltern nie richtig gesehen.
Meine Großmutter trank jeden Tag eine Flasche Kognak und sah Fernsehen. Mit Vorliebe Vorabend-Serien, am liebsten »Rauchende Colts«. Wegen der Pferde, wie sie nicht müde wurde zu betonen, und weil sie mal eine gute Reiterin gewesen sei. Vor Urzeiten. Unter der Tischplatte des mosaikbesetzten Keramiktischchens in Nierenform hatte sie einen Batzen Vaseline kleben, von dem sie sich unablässig bediente und – wie sie dachte unauffällig – ihre rissigen Lippen einfettete.
In den Zwanzigerjahren hatte sie eine formidable Sangesausbildung genossen und war wohl auch auf dem Weg gewesen, als sehr begabte Mozart-Interpretin zu reüssieren. Doch das Schicksal wollte es anders. Großmama, damals eine atemberaubende Schönheit in langem, weißem Leinenkleid, debütierte in einem musikalischen Salon mit Mozart-Arien zum Klavier. Ein Herr, wohl ausgerechnet in der vordersten Reihe, soll beim ersten Luftholen meiner Großmutter knisternd eine Zeitung entfaltet, sich in diese bis zum Ende der Arie vertieft und damit bei ihr ein Trauma ausgelöst haben. Sie wurde Malerin.
Das war in Carona in der Schweiz, oberhalb des Luganer Sees. Wo Hermann Hesse gerade seine Erzählung »Klingsors letzter Sommer« geschrieben hatte, Aquarellbildchen malte und in seiner Vor-Steppenwolf-Krise schwelgte. Meine Urgroßeltern residierten in einer neobarocken Villa, die man das Papageienhaus nannte, weil Papageien auf den Giebelfresken abgebildet waren. Nachdem Theo Wenger, mein Urgroßvater, vergeblich versucht hatte, im Wilden Westen Indianer zu missionieren, war er morphiumabhängig in die Schweiz zurückgekehrt, um das Schweizer Taschenmesser zu entwickeln, das berühmte rote Wenger-Messer. Hermann Hesse verkehrte bei den Wengers, weil sie zum einen mit einem großen Vermögen, zum anderen mit zwei hübschen Töchtern gesegnet waren. In die jüngere, meine Großmutter, verliebte er sich und heiratete sie. Aber soweit sich meine Großmutter zu diesem Thema geäußert hat, wurde diese Ehe wohl nie wirklich, wie es so schön heißt, vollzogen. Hesse soll, wie meine Großmutter es ihm im Scheidungsantrag vorwarf, »vergrübelt, einsiedlerisch und unansprechbar« gewesen sein.
Vermögen interessierte meine Großmutter nicht. Sie war die große Liebende, auch die, welche geliebt wurde. Ein dicker Liebesbriefwechsel zwischen ihr und Hesse geben Zeugnis davon ab. Über all die unzähligen Zwischenlieben und Verirrungen kann man im Nachhinein nur Vermutungen anstellen. Auch mit Johannes R. Becher soll mal was gewesen sein.
Völlig untypisch, absurd und blöde war, dass sie sich irgendwann in Hitler verliebte und zurück nach Deutschland ging, um ihm nahe zu sein, während ihre Schwester einen deutschen Juden heiratete, der all seine Besitztümer verlor und in die Schweiz floh. Meine Großmutter verlor ihr Erbe fast vollständig, es war ihr egal.
Mein Großvater Erich Haußmann gründete eine Filmproduktionsfirma in Babelsberg und machte bankrott. »Sie hat jetzt einen Nazi geheiratet«, schrieb Hermann Hesse später entsetzt in einem Brief an einen Freund. Meine Großeltern verkauften alle Briefe von Hesse, und dieser kaufte sie dann wieder zurück.
Obwohl die Familie Wenger allen Grund hatte, sich von meiner Großmutter loszusagen, war sie immer zur Stelle, wenn es ihr schlecht ging. Vor allem ihre Nichte Meret Oppenheim
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