Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
(die mit dem Pelzfrühstück) liebte meine Großeltern. Meine Großmutter hat Meret in ihrer Jugend wohl sehr inspiriert. Der Kontakt riss nie ab. Meret besuchte uns öfters in Berlin-Hirschgarten. Wir Kinder durchsuchten heimlich ihr Gepäck und waren zu Tode erschrocken, als in ihrer Tasche ein Spritzbesteck auftauchte. Für mich war das die Bestätigung: Sie war heroin-abhängig, wie alle Künstler und Jugendlichen im Westen. Später erfuhr ich zu meiner Erleichterung, dass es Insulin war. Sie hatte Diabetes.
Meret versorgte meine Großeltern ihr Leben lang mit allem, was sie so brauchten: Kaffee, Tee, Kognak und Zigaretten. Und meine Großmutter schrieb lange Klagebriefe über ihr Leben und über uns. Über mich, der nicht zeichnen könne, über meine Schwester, die sie zwar für hübsch, aber einfältig hielt, über meine Mutter, die sie für die falsche Wahl hielt – und über meinen Vater, den sie zwar vergötterte, für den sie sich aber auch schämte. Natürlich war sie extrem lustig, aber alles in allem war sie ein schrecklicher Mensch. Doch man musste sie einfach lieb haben.
Es muss eine merkwürdige Begegnung gewesen sein: Großpapa, am Anfang seiner Schauspielerkarriere, und Großmama, ein verwöhntes Mädchen aus der Schweiz und frisch geschieden. Mein Großvater stammte aus einem alten, kinderreichen Bauerngeschlecht. Schwer gebeutelt durch den Ersten Weltkrieg, in dem einer der Brüder vor Verdun gefallen war, zeigte er sich nur allzu empfänglich für das Blut-und-Boden-Gequatsche der Nazis. Wann genau die Ernüchterung kam, weiß ich nicht. Jedenfalls kamen beide nach dem Krieg bei den Franzosen in ein Entnazifizierungslager. Dort ging der Rest des Familienerbes für guten Kognak, Rotwein und die geliebten Zigaretten drauf. Mein Vater musste die Gegenstände zu den Soldaten schleppen, den Rest seiner Zeit verbrachte er vor dem Gefängnistor und wartete auf seine Eltern, das dauerte zwei Jahre.
Irgendwann Mitte der Fünfziger landeten meine Großeltern tief im Berliner Osten, im hässlichen Biesdorf am Dohlengrund. Sie waren bereit, das Beste draus zu machen. Großpapa stand früh auf, heizte den großen Ofen, mähte das Gras mit einer Sichel, erntete die Äpfel, Kirschen und Mirabellen, ging mit dem Hund Gassi und machte Frühstück. Großmama stand gegen drei Uhr nachmittags auf, setzte sich auf die rechte Seite der Couch, fettete ihre Lippen ein und las Goethe. Sie las überhaupt nur noch Goethe. Sie konnte seitenweise alles Mögliche von ihm auswendig zitieren: Balladen, Epen, Gedichte und vor allem den »West-östlichen Divan«.
Außerdem war sie ein wandelndes Vornamenregister. Meinen Namen hat sie ausgewählt. Natürlich war auch mein Vater reich beschenkt worden: Ezard Amadeus Jasmin. Allerdings rief sie ihn nur »Meister«. Weil er als Kind so einen unerschöpflichen Stuhlgang hatte, war er der »Meister vom Stuhl«. In ihrer Mischung aus Schwäbischem und Schweizer Dialekt klang das für meine Berliner Ohren immer sehr exotisch: »Meischter«. Ruth, ihr eigener Vorname, war ihr zu banal, weshalb sie sich Claudia nannte. Sie hatte für uns Kinder immer Ost-Schokolade in ihrem Schrank. Von der West-Schokolade bekamen wir nichts ab. Großmama fand: »Die Kinder schiebet sich däs äh’ nur im Unfug unter de’ Nas’ nei.«
Nachdem Großpapa morgens den Haushalt organisiert hatte, fasste er nachmittags den Saum seiner Hosenbeine mit einer Fahrradklammer zusammen, radelte am Kiessee vorbei zum S-Bahnhof Biesdorf und fuhr zum Schiffbauerdamm. Dort war er seit 1962 Schauspieler am Berliner Ensemble, Helene Weigel höchstpersönlich hatte ihn engagiert. Mit großer Hingabe und Liebe füllte er dort die kleinen Rollen aus und brachte ihre Darstellung zur Perfektion.
Wir besuchten die beiden jeden Sonntag. Es gab immer dieselben Geschichten. Ich liebte meine Großeltern, ich liebte die Geschichten und ich liebte den Ofen, auf dem ich lag und alte Bücher las. Ich durfte mir aber nur ein Buch nehmen, wenn ich gefragt hatte. Fragen war ihnen wichtig, da waren sie eigen. Sie verliehen auch prinzipiell keine Bücher. »Was meinst du, wie ich zu einer solchen Bibliothek gekommen bin?«, pflegte Großpapa zu sagen.
13 AUSWEISKONTROLLE
AUSWEISKONTROLLE
13 »SCHÖN BLEIBEN, REICH WERDEN, glücklich sein!« Die drei jungen Männer erheben ihr fünftes Halbliterglas Bier. Sie sitzen im »Rolandseck«. Das »Rolandseck« ist eine Kneipe in Friedrichshagen. Die jungen Männer sind Boris Naujoks,
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