Bujold, Lois McMaster - Die magischen Messer 2
Jahrhunderte? «
»Im Augenblick sieht es schlimm aus «, stellte Dag fest, »Aber das Übel war nur wenige Tage hier, und die Au s zehrung reicht nicht tief. Höchstens Jahrzehnte. Vie l leicht geschieht es nicht mehr in meiner Lebensspanne, aber du wirst es noch erleben, nehme ich an. «
Saun kniff die Augen zusammen und tauschte einen undeutbaren Blick mit Dirla. »Kann ich – brauchen Sie noch irgendetwas, Sir? «
Ich brauche Fünkchen. Es war ein Fehler, dass er sich diesen Gedanken erlaubt hatte, denn er wuchs sich s o gleich zu einem fast körperlich spürbaren Schmerz aus. In seinem Herzen, ja als gäbe es noch einen Teil seines Leibes, der nicht bereits schmerzte. Aber laut antwortete er: »Warum bin ich plötzlich ein Sir? Du nennst mich Dag, ich nenne dich he, du, Junge. Das hat vorher auch gereicht. «
Saun grinste verlegen, antwortete aber nicht. Er und Dirla k a men auf die Füße. Dag schlief, noch bevor die beiden den Hain verlassen hatten.
Nachdem Fawn bis in die Morgendämmerung hinein nicht wi e der hatte einschlafen können, erwachte sie schließlich am sp ä ten Vormittag und fühlte sich, als hätte man sie durchgeprügelt. Pfefferminztee und Wasserkürbis trugen wenig zu ihrem Woh l befinden bei. Sie wandte sich der nächsten anstehenden Aufg a be zu und flocht ihren gesponnenen Wasserkürbisflachs zu Schnüren zusammen. Daraus sollten Dochte für Kerzen entst e hen, die Sarri herstellen wollte.
Nach einer Stunde Arbeit tränten ihr die Augen, und das Pulsi e ren in der linken Hand und dem linken Arm vereinte sich mit dem pochenden Kopfschmerz und machte sie schier verrückt. War es ihr Herzschlag oder der von Dag, der den Takt vorgab? Zumindest schlägt sein Herz noch. Fawn legte die Arbeit nieder und folgte der Straße bis zum Abzweig zu Dars Beinhütte. Dort blieb sie unsicher stehen.
Dag ist sein Bruder. Er muss Dar etwas bedeuten. Fawn dachte an ihre eigenen Brüder. Ganz gleich, wie wütend Fawn auf sie war, würde sie nicht mit der Schimpferei aufhören, wenn ihre Brüder verletzt waren und Hilfe brauchten? Ja. Weil ihrer E r fahrung nach die Familie genau dafür da war: In der Not rückte sie enger zusammen; nur in der übrigen Zeit lief es nicht ganz so gut. Fawn schob die Schultern vor und folgte dem Pfad zw i schen den grünen Schatten des Waldes.
Am Rande der sonnengefleckten Lichtung zögerte sie wieder. Wenn sie tatsächlich nackt umher stolzierte , wie Cumbia ihr vorgeworfen hatte, musste Dar wissen, dass sie hier war. Sti m men drangen um die Hütte herum. Er war also nicht hoch ko n zentriert mit irgendeinem nekromantischen Zauber.
Sie ging weiter und fand Dar auf der obersten Stufe der Vera n datreppe sitzen, bei einer älteren Frau im üblichen Somme r kleid, die das Haar hochgeknotet trug. Dar hielt eine Mittle r klinge in der Hand. Widerwillig nahm er Fawn zur Kenntnis. Er holte ungehalten Luft und blickte auf.
Fawn umklammerte ihr linkes Handgelenk schützend vor der Brust. »Guten Morgen, Dar. Ich habe eine Frage an dich. «
Dar ächzte und stand auf. Mit einem neugierigen Blick auf Fawn erhob sich die Frau ebenfalls.
»Nun, was ist? «, fragte Dar.
»Es ist ein wenig vertraulich. Ich kann auch später wiederko m men. «
»Wir sind gleich fertig. Warte. « Er wandte sich der Frau zu und hob das Messer hoch. »Ich kann das heute Nachmittag noch entweihen. Möchtest du heute Abend wiederkommen? «
»Könnte ich. Oder morgen früh. «
»Morgen früh habe ich zu tun. «
»Dann heute Abend. Nach dem Abendessen? «
»Das würde passen. «
Die Frau nickte entschieden und ging davon. Bei Fawn hielt sie noch einmal an und musterte sie von oben bis unten. Sie runze l te die Stirn. »Du bist also die b e rühmte Bauernbraut, was? «
Fawn sah sich außerstande, den Tonfall zu deuten, und b e schränkte sich auf einen vorsichtigen Knicks.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nun, Dar. Dein Br u der. « Mit dieser undurchsichtigen Erklärung schritt sie über den Pfad d a von.
Am schmerzlichen Zucken seiner Lippen konnte Fawn erke n nen, dass Dar den Worten mehr entnahm als sie. Fawn ging nicht weiter darauf ein. Sie hatte drängendere Sorgen. Vorsic h tig näherte sie sich Dar, als könne er sie beißen. Er legte das Messer auf die Verandabretter und schaute sie spöttisch an.
Fawn war zu aufgeregt, um gleich zur Sache zu kommen. Stat t dessen fragte sie: »Was wollte diese Frau? «
»Ihr Großvater starb vor einigen Wochen unerwartet im Schlaf, ohne
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